Es war in der zweiten Novemberhälfte 1981, als mich Allan Porter, der Chefredakteur des Schweizer Fotomagazins «camera», anrief: «camera is at its end – do you want to write about it?» sagte er, Camera ist am Ende – willst Du etwas darüber schreiben? Ich war sprachlos. Sprachlos, nicht, weil wieder eine, wahrscheinlich die beste, Fotozeitschrift ihr Erscheinen einstellen musste. Bei dem geringen Anzeigenaufkommen der letzten Monate war es absehbar, dass der Verlag Ringier dieses Objekt wirtschaftlich nicht mehr halten konnte. Sprachlos jedoch, mit welch stoischer Ruhe mir Allan dies mitteilte. Sein Lebenswerk, in welches er während 15 Jahren alles Herzblut und seine ganze Schaffenskraft eingebracht hatte, war am Ende.
Allan Porter war von 1966 bis 1981 Chefredakteur der Zeitschrift «camera». (Foto ZVG)
Am 5. Oktober 2022 ist Allan Porter in einem Pflegheim bei Luzern verstorben. 88 Jahre zuvor, am 29. April 1934, wurde er in Philadelphia (Pennsylvania) geboren, studierte an der Philadelphia Museum School of Art Grafik und Fotografie, war danach als freischaffender Künstler tätig und kam 1964 nach Basel zur Werbeagentur Jean Reiwald. Eines Tages rief ihn Alice Bucher an, die Direktorin des Verlag Bucher in Luzern, die den jungen Grafiker bat, ein Neukonzept für die Zeitschrift «camera» zu erstellen. Das passte genau zum Profil von Allan, der mit seinem grossen Fachwissen, sowohl über historische als auch über zeitgenössische Fotografie und einem starken Beziehungsnetz vor allem bei amerikanischen Fotografen und Institutionen, die ideale Grundlage dazu mitbrachte. Aus dem Beratungsvertrag wurde ab Januar 1966 eine feste Anstellung als Chefredakteur. Alice Bucher erkannte sehr rasch, dass die von Allan Porter durchgesetzten, neuen Ideen bei der Leserschaft gut ankamen und liess ihm in der Themenwahl und der Präsentation der Portfolios völlig freie Hand. Für die technische Entwicklung interessierte sich Allan Porter zwar, doch überliess er diesen redaktionellen Teil dem erfahrenen Technikjournalisten L.A. Mannheim in London.
Allan Porter (links) in seinem Büro mit Grafiker Hannes Opitz (Privatsammlung)
Das Konzept von Allan Porter begann schnell zu greifen, und die Themen- und Monografie-Ausgaben, die sowohl zeitgenössische als auch historisch wichtige Fotografen dokumentierten, wurden über die Fotografie hinaus sehr stark beachtet. «camera» hatte mit ihren drei Ausgaben auf Deutsch, Englisch und Französisch bald den Ruf einer einzigartigen, weltweit stark beachteten Kulturzeitschrift, die sich von den bestehenden Fotozeitschriften durch ihre thematische und grafische Eigenständigkeit abhob.
Allan Porter war eine ruhige Natur. Seine Ansichten, oft sehr eigenständig aber immer geradlinig, vermittelte er überzeugt und ebenso überzeugend – jeder Satz war überlegt und ausgewogen, als ob er ihn nicht nur sprechen, sondern schreiben würde. Wir drei Schweizer Fotoredakteure, Allan Porter von «camera», Oswald Ruppen (1926-2018) von der «Schweizerischen Photorundschau» und ich, damals von «Photographie», hatten bei vielen Presseanlässen und an den Photokinen in Köln jeweils eine gemütliche Zeit mit angeregten Diskussionen, wissend, dass sich unsere Verleger zwar um den schrumpfenden Werbekuchen balgten, dass wir jedoch in alter Freundschaft unsere Blätter pflegten. Wir konkurrenzierten uns nicht, denn unsere Fotozeitschiften waren auf deutlich unterschiedliche Leserkreise ausgerichtet. Aber wir bewunderten Allan insgeheim, weil er mit seiner «camera» längst aus der kleinhelvetischen Fotoszene ausgebrochen war und auf eine weltweite Leserschaft stolz sein konnte. Oft hat er uns bei den Anlässen grossen Namen vorgestellt, die er aus Amerika und Japan kannte und hat uns so, völlig selbstlos, interessante persönliche Kontakte vermittelt.
Origialmanuskript von Allan Porter (Privatsammlung)
«camera is at its end – do you want to write about it?». Natürlich wollte ich! Schluss mit «camera»? – wirtschaftlich verständlich, emotional nicht nachvollziehbar! «camera», diese einzigartige, international ausgerichtete Fotokulturzeitschrift, war am Ende – Allan arbeitslos. Das kleine Redaktionsbüro in einem Hinterhaus der Luzener Zürcherstrasse musste geräumt werden. Tausende von Fotos, Tonnen von Papier, unendlich viele Bücher – wo sind sie heute? Und die Ideen von Allan? Diese weitsichtigen Projekte, die vielen Portfolios und Stories von fotografischen Koryphäen, Trendsettern und Newcomern, die Allan in Planung hatte? Nichts ist mehr aus ihnen geworden! Allan hat am 3. Dezember 1981 alle seine Freunde an den Weinmarkt 5 in Luzern eingeladen. Alle in Schwarz. Wie zu einer Beerdigung. «Finissage» hat er es genannt …
Dezember 1981, die letzte Ausgabe von «camera» und die persönliche Einladung zur «Finissage» (Privatsammlung)
Allan war danach noch ein paar Jahre sowohl fotografisch als auch journalistisch tätig, wirkte als Kurator, Dozent und Herausgeber. Nur noch selten haben wir uns gesehen, aber jedesmal, wenn ich in Luzern ein paar Stunden vorig hatte, war Allan für ein geselliges Glas Wein und eine immer faszinierende Plauderei zu haben. Es war eigentlich keine Plauderei, denn alles was Allan sagte, stammte aus einer wohlgeordneten Gedankenwelt und aus einem grossen Namensgedächtnis. Mit den Jahren liess dieses etwas nach. Das Alter machte sich bemerkbar, man verlor sich etwas aus den Augen – nicht aber aus dem Sinn.
Good bye, Allan! Du hast Grossartiges geleistet, und die Fotokultur hat Dir viel zu verdanken. Und uns warst Du immer ein grosses Vorbild.
Urs Tillmanns
Lesen Sie auch:
• «Die Reise der ‘camera’?», Fotointern.ch 06.04.2014
• Nadine Olonetzky, «Ein Amerikaner in Luzern. Allan Porter und ‚camera’», Pro Libro Verlag, 2008.
Danke für diesen Interessanten Nachruf!
Allan Porter hat die mit Abstand beste Photozeitschrift gestaltet und auch sonst die wahre Seele der Photografie vertreten – er hinterlässt leider ein ziemliches Vakuum. Danke für das (wohlverdiente) Laudatio.
So ein schöner und ausführlicher Nachruf. Danke Urs!
Ich habe noch x-Jahrgänge CAMERA zuhause und kann sie nicht entsorgen! Jedesmal wenn ich eines in die Hand nehme, denke ich: sooo was tolles, diese Haptik der wunderbare Druck, diese Reportagen, Berichte und Themen…ein immer wertvolleres Heft in dieser Zeit. Adieu Camera, Adieu Allan.
Danke für die Retrospektive und den Hinweis auf seine Biografie von Nadine Olonetzky. Darin die vielen Geschichten des umtriebigen Amerikaners in Luzern. Schade, dass der Druck so einfach ist, der die meisten Fotos absaufen lässt. Kein Vergleich mit der Sorgfalt in der CAMERA. Heftig Seite 94 mit der fetten Titelzeile mit Tippfehler und dem Foto darüber. Allan wäre nicht amüsiert…