Urs Tillmanns, 21. August 2022, 10:00 Uhr

Die Gesichter der Suppen

Zaboo wirft grundsätzlich keine Lebensmittel fort. Schon gar nicht damals, während der Corona-Zeit, als Sparen angesagt war, weil es für das Fotografenpaar Zaboo und Christian Herbert Hildebrand kaum noch Aufträge gab. «Sicher machte man sich zur Corona-Zeit mehr Gedanken über das Food-wasting», sagt Zaboo, «aber ich habe schon vorher kaum etwas weggeworfen.» Man könne fast alles verwerten, und wenn man keine Zeit hat, sind Suppen die schnellste und einfachste Art, wie man ganz einfach und fantasievoll neue Rezepte erfinden könne, um dabei Reste aufzubrauchen, meint sie.

 

Aus Reste eine feine Suppe zu kochen ist schnell gemacht, kostet nichts und schmeckt lecker. Während der Corona-Zeit haben Zaboo und Christian täglich ihre Suppe gekocht – und fotografiert

«Schau mal, wie schön» zeigt Zaboo Christian die eben zubereitete Suppe. «Sieht aus wie ein Gesicht! Der Mund, die Augen und da die Nasenlöchlis … wie lustig». iPhone gezückt – abgedrückt. Und so entstand das erste Suppenbild, dem bald eine uferlose Serie folgen sollte.

Die tägliche Mittagssuppe war fester Bestandteil des Menüplans – und das Fotografieren damit. Nicht nur alle Küchenreste kamen in den grossen Topf, sondern Zaboo machte sich auch hinter die Vorratsbüchsen in den Schränken. Was es da alles gab! Nüsse, Bisquits, Gewürze, Knäckebrot – längst vergessen, altes Brot, Buchennüsschen anstelle teurer Pinienkerne … dann aber auch verschiedenste Kräuter, die man in der Natur findet und nichts kosten. Kaum etwas, das nicht gut genug war, um eine Suppe zu bereichern.

Auch die Optik gehörte dazu. Den fantasievollen Dekorationen der Suppen wurde besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet – schliesslich essen auch die Augen mit. Und damit beide die strenge Regel, bis Ende der Krise mittags Suppe zu essen, auch durchstehen, musste sie schon «aamächelig» aussehen.

So wurde die Suppe zur täglichen Herausforderung – nicht nur für Zaboo, denn bald wurde auch Christian vom Suppenfieber gepackt und er wurde zum Kurator von Zaboos Suppenprojekt. «Das war das Schöne daran, dass wir beide eine neue Art der Kreativität entwickelt hatten» betont Zaboo. «Zu zweit macht sowas viel mehr Spass, und es wäre mir viel schwerer gefallen, mein Suppenprojekt durchzuziehen, wenn mich Christian nicht jeden Tag darin bestärkt hätte.»

«Einmal hatte unser ‘Altbrot-Verwerter’ Christian etwas altes Toastbrot übrig. Da hat er es in den Toaster gesteckt und danach mit der Guetzliform zwei Herzen ausgestochen. Und schon war die Suppe wieder um ein sinnbildliches Deko-Element reicher …»

So perfekt, wie die Suppenbilder aussehen, könnte man meinen, es stecke ein grosser Fotoaufwand dahinter – wie man das eben von der Food-Fotografie her kennt. Doch, weit gefehlt: «Dazu hatten wir erstens keine Zeit, und zweitens hätte die tägliche ’Pflichtsuppe‘ etwas von ihrem Reiz genommen» erinnert sich Christian. Die Bilder seien jedes Mal sehr spontan entstanden: Zaboo habe gekocht, Christian hat beim Anrichten und Dekorieren geholfen und Zaboo hat die Suppe dann jeweils fotografiert. So wie sie war, immer auf demselben grünen, orangen oder schwarzen Set, bei vorhandenem Licht, flux mit einem etwa zehnjährigen iPhone – fertig. «Wir hätten auch gar keine Zeit gehabt, einen grösseren Aufwand zu betreiben. Ausserdem mussten wir wieder an die Arbeit – die Firma zu retten, die Webseite modernisieren, um wieder Kunden für die Nach-Coronazeit zu gewinnen. Auch wäre dann die Suppe kalt geworden» schmunzelt Zaboo.

Ob die Bilder stark nachbearbeitet sind? «Nein, nur das Übliche, wie man halt Digitalfotos standardmässig entwickelt» erklärt Zaboo. «Dann habe ich die Bilder, die an der Photo Schweiz ausgestellt waren, farblich und helligkeitsmässig aufeinander abgestimmt, denn schliesslich entstanden sie ja bei unterschiedlichsten Lichtverhältnissen; mal war es bewölkt, mal war es sonnig. Das Einzige was konstant war, war unsere alte Küchenlampe … zumindest im Winter bei trübem Wetter»

Stichwort Ausstellung: Der Aufruf zur Photo Schweiz kam. Fast etwas widerwillig hat Zaboo zugestimmt, dass Christian sie anmeldete, um mit einigen der Bilder dem «Last call» zu folgen. «Dabei habe ich mir keine grossen Hoffnungen gemacht, denn schliesslich messen sich dort grosse Namen, die weitaus mehr Aufwand in ihre Arbeiten gesteckt hatten, als ich in meine Suppen» beschwichtigt Zaboo.

So war dann die Überraschung gross, als das Expertengremium der Jury just diesen Suppenbildern grünes Licht gaben. Die Auswahl dazu sei ganz pragmatisch entstanden: «Ich habe einfach ein paar Bilder heruntergeladen, die besonders herausstachen und die zusammen eine aussagekräftige Serie ergaben, die «chlöpft» – wie Christian und Zaboo es pflegen, zu sagen. Und dann war plötzlich Schluss» sagt Zaboo, «denn mit einer solchen Auswahl könnte man sich ewig und einen Tag lang beschäftigen; schliesslich sind in den zweieinhalb Jahren auch jede Menge Suppenbilder zusammengekommen». Zaboo rechnet: Seit März 2020 fast jeden Tag eine Suppe – «da müssten jetzt mehr als 800 Suppenbilder auf der Festplatte sein …»

Und dann hast Du die Bilder zur Photo Schweiz geschickt. «Ich habe gar nichts gemacht», entgegnet Zaboo. «Christian war dabei, seine Fotoserie mit schwarzweissen Bildern über den Kaffeeröster Patrik Hosennen aus Gersau vorzubereiten und meinte, ich könnte es doch auch mit den Suppenbildern probieren. Meinst Du? Mach was Du willst … und schliesslich war ich voll paff, als plötzlich Keystone anrief, sie möchten gerne ein Interview mit mir machen. So habe ich erfahren, dass meine Bilder für die Ausstellung ausgewählt worden sind.»

«Der zweite Überraschungsmoment war dann, als der ‘Blick’ als einziges Bild von der Ausstellung ein Suppenbild von mir zeigte. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet», erinnert sich Zaboo. Doch der Überraschungen nicht genug: «An der Vernissage kam Matthias Luchsinger auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter: ‘Das nächste Mal dann bei mir, gell’. Und so kam es, dass ich wegen den Suppenbildern zum diesjährigen ‘Genuss Film Festival’ eingeladen wurde.»

Und jetzt, wie geht es weiter? «Mal sehen, was noch auf mich zukommt. An der Photo Schweiz hatten mich viele Leute auf mögliche Verwendungen angesprochen. Vor allem die Idee, mit den Bildern ein Rezeptbuch zu machen, habe ich von verschiedenen Personen gehört. Ich könnte mir vorstellen, ein Kochbuch mit vielen Spar- und Nachhaltigkeitstipps zu schreiben; jetzt wo man von Krise zu Krise springt und die Umwelt immer mehr in den Fokus rückt, wäre es ein top-aktuelles Thema. Aber ein konkretes Projekt gibt es noch nicht.»

Was ist Deine Botschaft? «An der Photo Schweiz wollte ich die Botschaft an die Öffentlichkeit senden, das lokale Gewerbe, insbesondere die Kunstschaffenden, vermehrt zu berücksichtigen, denn es ist nicht nur nachhaltiger, weil das Geld vor Ort zirkuliert, sondern es schont auch die Ressourcen. Heute möchte ich noch weitergehen: Ich möchte vor allem mit den Bildern auf das unsinnige Food-wasting hinweisen. Bevor man den Abfalleimer füllt, soll man bedenken, dass man aus fast allem noch etwas Essbares machen kann und dass man die aufgedruckten Verfalldaten durch den gesunden Menschenverstand ersetzen kann. Dazu noch etwas, was sehr gut schmeckt und was praktisch nichts kostet. Dieses Bewusstsein könnte für uns alle noch wichtig werden.»

Interview: Urs Tillmanns

 

Die Suppenköche: Zaboo und Christian H. Hildebrand

Zaboo ist Porträtistin und realisiert ihre Personenbilder mit verschiedensten Mal- und Zeichentechniken, aber auch mit der Kamera. Mit Christian zusammen leitet sie viele Workshops, vor allem auf der Insel Elba, die für sie fast eine zweite Heimat ist. Im gemeinsamen Unternehmen Fotozug.ch ist sie vor allem für die Administration und das Marketing zuständig und assistiert Christian bei den Aufnahmen. Dabei kommt ihr oft ihre zweite Ausbildung als Make Up Artistin  zugute.

Christian Herbert Hildebrand ist Berufsfotograf aus Leidenschaft und auf Reportagen, Event- und Studiofotografie spezialisiert. Abgesehen vom Motorradfahren liebt Christian die Rockmusik, nicht nur, um in der Vergangenheit zu schwelgen, sondern auch um solche Konzerte zu fotografieren. Christian führt auch regelmässig Workshops durch. «Ich liebe den Kontakt zu Menschen, um ihnen meine Faszination zur Fotografie weiterzugeben, und dies auf eine möglichst unkonventionelle Art.»

Weitere Infos auf fotozug.ch, zu Zaboo auf Instagram und zu Christian H. Hildebrand auf Instagram

4 Kommentare zu “Die Gesichter der Suppen”

  1. Grossartige Suppen-Serie. Obwohl ich eher auf klare Suppen stehe wo der Inhalt noch erkennbar ist. Also kein Wochenrückblick sondern eine frisch aufgesetzte Suppe. Der Pürierstab verschleiert mir einfach zuviel. * Zudem kann eine klare Suppe bestens zu einem Saucenfond weiterverarbeitet werden. Freude am Essen, Fotografieren und Kochen verbindet
    uns alle. Danke an Zaboo und Christian.
    * eine Ausnahme ist bei mir die Kürbis-Suppe. Da wird nach dem Anschwitzen und Ablöschen auch püriert.

  2. Glückwunsch an Zaboo und Christian.
    Ich freue mich mit Euch über diesen Erfolg, den ihr aus einer Alltags-Haltung heraus zunächst nicht angesteuert, aber wirklich verdient habt.
    Herzliche Grüße vom FineArtPrinter-Chefredakteur
    Hermann Will

    1. Lieber Hermann
      Vielen Dank für Dein Kompliment als Top-Fachmann, das ich sehr schätze.
      An der Ausstellung wollten viele Leute die Bilder antasten, zum sicher gehen, dass es „nur“ Papier war – anscheinend kam es sehr „echt“ rüber. Vielleicht machen wir mal etwas gemeinsam?

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