Urs Tillmanns, 10. August 2019, 10:10 Uhr

Buchtipp: Brian Dilg – Wie Fotos wirken

Als Fotograf sehen und erleben Sie eine bewegte Szene und halten diese in einem Einzelbild fest. Jedes Mal, wenn Sie dieses Bild sehen, kommt Ihnen dieses Erlebnis in den Sinn – ein Eindruck, der möglicherweise stärker ist als die Bildaussage. Wie aber wirkt dieses Bild auf jene Betrachter, welche die Szene nicht erlebt haben, sondern nur das Bild sehen? Ist die Bildaussage stark und klar genug, damit der Betrachter das Bild richtig interpretiert oder sieht er darin etwas ganz anderes  als Kernbotschaft als Sie? Der erlebte Augenblick und das fotografische Ergebnis können stark von einander abweichen, und je eindeutiger die Bildaussage ist, desto besser ist das Bild.

Genau darum – und um noch viel mehr – geht es in diesem Buch. Wie kommen meine Bilder beim Betrachter an? Weshalb empfinden wir ein Bild als «gut» und ein anderes als «schlecht»? Es kann an der technischen Qualität liegen, an der Bildkomposition, am Bildausschnitt – und natürlich am Motiv, ob uns dieses gefällt oder nicht. Und selbst wenn es uns nicht gefällt kann es uns begeistern – oder schockieren. Auch negatives Empfinden kann eine grosse Wirkung auf uns haben. Dies beweisen nicht zuletzt die täglichen News-Bilder, die sehr oft bei uns einen starken Eindruck hinterlassen.

Wie wirken Fotos? Dieser Frage ist Kameramann und Fotograf Brian Dilg nachgegangen und hat genau analysiert, weshalb uns Fotos gefallen und warum nicht. Er befasst sich dabei intensiv mit dem Sehempfinden, wie das Auge beziehungsweise das Gehirn etwas wahrnimmt und wie dies das fotografische Medium in ein Bild umsetzt. «Zwischen dem was wir sehen und dem, was wir glauben zu sehen, ist ein grosser Unterschied» ist eine der Kernaussagen von Brian Dilg.

Dilg erklärt und vergleicht in seinem Buch fotografische Begriffe wie «Fokus», «Schärfe» oder «Schärfentiefe» mit der Optik des Sehens, untersucht, wie wir Farbe, Helligkeit und Kontraste wahrnehmen und wie diese vom Sensor aufgezeichnet werden. Auch geht er darauf ein, wie sich aus diesen Differenzen gewisse Trends in der Fotografie entwickelt haben – wann alles perfekt scharf sein musste und wann beispielsweise die Unschärfe als Stilmittel akzeptiert wurde.

Das alles wird an hervorragenden Bildbeispielen verdeutlicht. Aber nicht an solchen, die der Autor selbst gemacht hat, sondern er zieht Werke von bekanntesten Fotografen, wie Edward Weston, Elliott Erwitt, Garry Winogrand, Josef Koudelka, Steve McCurry, Martin Parr und rund 50 anderen heran, um seine Thesen und Aussagen mit treffenden und weitgehend bekannten Bildbeispielen zu belegen. Ebenso enthält das Buch an mehreren Stellen Experten-Kommentare, welche zu gewissen Themen als «Zweitmeinung» Stellung beziehen oder diese tiefer erläutern.

Für wen ist dieses Buch? Das Buch ist eine wahre Fundgrube von Erkenntnissen zu Sehempfinden und Bildwahrnehmung. Es sollte Pflichtlektüre jener Fotografen sein, die ergründen wollen, weshalb gewisse Bilder, die man selbst (subjektiv) als «sehr gut» empfindet, von den Betrachtern (objektiv) als «mässig» oder «schlecht» beurteilt werden. Es ist eine Lehre des Sehens und Empfindens – eine Thematik, mit der sich Fotografen intensiv auseinandersetzen sollten, damit sie schon bei der Aufnahmen bedenken können, wie die Betrachter das Bild wahrnehmen werden. Vielleicht ein neuer Weg zu besseren Bildern …?

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Wie kommt es, dass Ihnen ein bestimmtes Foto besonders gut gefällt? Welche psychologischen Mechanismen wirken dabei im Hintergrund? Wieso erscheinen manche Fotos lebendig und wie wird dem Gehirn dieser Eindruck vermittelt? Und wenn eine Bildkomposition Ihre Erwartungen enttäuscht, woher kamen diese falschen Annahmen ursprünglich?

Antworten auf all diese Fragen finden Sie in diesem Buch. Der international ausgezeichnete Kameramann Brian Dilg kombiniert fotografische Grundlagen wie Belichtung, Fokus und Bildkomposition mit den jüngsten Erkenntnissen der Psychologie, kognitiver Neurowissenschaft und evolutionärer Biologie. Das hört sich trocken an, ist es aber gar nicht, denn Dilg schreibt spannend und unterhaltsam. Folgen Sie diesem aufregenden Erkundungspfad, um zu erfahren, wie ein Foto «funktioniert» und wie Sie somit Ihre eigenen Fotos besser machen können.

Mit den Werken von über 50 angesehenen Fotografen, den Meistern aus dem zwanzigsten Jahrhundert bis zu zeitgenössischen Wegbereitern.

 

Der Inhalt

Einführung

1. Wie wir sehen – Mensch vs. Kamera

Hinschauen vs. Sehen: Das Problem mit der Erfahrung / Das mentale Modell / Blickwinkel / Dynamischer Blick vs. Statisches Bild / Brennweite & Vergrößerung

Fokus & Schärfe / Fokus & Kameras / Schärfentiefe / Experten-Kommentar: Dr. Martin Rolfs, Spezialist für Sehen & Wahrnehmung / Belichtung / Dynamikbereich / Farbwahrnehmung

Bewegung & Zeit / Experten-Kommentar: Dr. Donald Hoffman, Kognitionswissenschaftler

 

2. Wie wir wahrnehmen – Der visuelle Reiz

Die Bandbreite der Wahrnehmung überwinden / Position im Bild / Größe im Bild / Skalierung / Fokus Linien, reale & implizite / Ausdruck & Gestik / Substitution

Aufmerksamkeit: Die persönliche Hierarchie / Experten-Kommentar: Dr. Jay Friedenberg, Psychologe / Helligkeit & Kontrast / Tonwertkonzepte / Farbe

Motive / Überraschung & Verzögerung: Erwartungen ausnutzen / Angewandte Wahrnehmung: Meister am Werk

 

3. Wie wir denken – Fotos entziffern

Theory of Mind / Spiegeln: Kunst als Selbstporträt / Auslassung & Fantasie: Im Bild & außerhalb / Eine 3D-Welt aus 2D-Bildern konstruieren / Experten-Kommentar: Julie Grahame, Kuratorin

Der Schock des Bekannten / Fluchtpunkt & Blickwinkel / Implizite Beziehungen / Viszerale Eigenschaften / Experten-Kommentar: Marc Prüst, Photo Consultant & Kurator

Zeit: Geschichten konstruieren / Form als Zeichen / Kontext & Gegenüberstellung: Bedeutung ist fließend / Licht als Zeiger / Farbe als Bedeutung / Experten-Kommentar: Elisabeth Biondi, Kuratorin

 

4. Fazit

Schlusswort / Leseempfehlungen / Dank /Bildnachweise / Index

 

Über den Autor:

Brian Dilg arbeitet seit Jahrzehnten als Fotograf, Kameramann, Autor und Dozent. Neben der Gründung des Fotografie-Lehrstuhls an der «New York Film Akademie» war er als Instruktor bei Canon tätig. Seine Werke wurden und werden weltweit ausgestellt und u.a. in der «New York Times» und im «Time Out Magazine» publiziert.

 

Bibliografie

Brian Dilg: «Wie Fotos wirken»
160 Seiten, Hardcover, gebunden
1. Auflage 2019
mitp-Verlag
Preis: CHF 37.90 / EUR 21,99
ISBN 9783958459922
Englische Originalausgabe:
«Why You Like This Photo». Octopus Books, 2018.

Das Buch kann im Buchhandel gekauft, bei Verlag geordert oder hier im Ausland online bestellt werden.

5 Kommentare zu “Buchtipp: Brian Dilg – Wie Fotos wirken”

    1. Hi hi Peter Klein. Ja, die Sichtweise, ist anders in der USA.Jedoch hält sich Brian auch oft in DE auf/ Europa, daher dürften verschiedene Einflüsse vorhanden sein 😉 Doch das Thema ist ein anderes, das der wissenschaftlichen Betrachtung und Analyes und als solches kommt das Buch entsprechend rüber.
      Ursina

      1. Hallo Ursina
        Ich meine nicht die Fotos, sondern die Seitengestaltung des Buches, so wie sie im Bericht zu sehen ist. Die Gestaltung wurde wohl von einem Grafiker des Verlages ausgeführt. Diese Gestaltung ist viel zu auffällig und lässt den Fotobeispielen keinen Raum, lenkt die Aufmerksamkeit weg von den Bildern auf die Gestaltungselemente.

    2. Hallo Peter
      Spannend, deine Sichtweise – und ich finde JEIN.
      Wenn der Band „Bilder wirken“ hiesse – dann würde ich dir zustimmen und sagen: Du hast recht. Dann müssten die Bilder ihre Wirkung umfassend entfalten können. Wir haben aber keinen Bildband vor uns, sondern ein Werk mit vermittelndem Charakter. Als Fotodidaktiker – was ist denn das nun wieder? – finde ich das Buch grafisch gut, ja sogar sehr gut gemacht: Die Erläuterungen korrespondieren mit den Bildern. Die einzelnen Stufen der vermittelnden Textelemente (Klar abgesetzter Titel, kurze einspaltige Einleitung, zweispaltige Vertiefung, Farbbox mit Bildkommentar direkt am Bild angedockt, …) sind sofort erkennbar und dienen der Orientierung der Leser/-innen.
      Wenn nur alle Vermittlungsliteratur ein solches Konzept hätte!
      MLG Mandi

  1. Herzlichen Dank für diese einmal mehr äusserst informative Buchbesprechung. Neben der kompetenten journalistischen Einschätzung sind die umfassenden Einblicke in das Buch äusserst hilfreich.
    Freundlichen Gruss aus der Zentralschweiz
    Mandi

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