Er war ein häufiger Gast in der reich bestückten Bibliothek des Geografischen Institutes der Universität Zürich. Dort lernte ich Georg Gerster (30. April 1928 – 8. Februar 2019) in den 1970er-Jahren kennen. Uns Geografen war er längst ein Begriff: Seine überaus attraktiven Bilder aus der Luft waren gewissermassen das ästhetische Gegenstück zur klassischen Luftbildfotografie, welche meist senkrecht fotografiert der Kartografie und der Landnutzungsanalyse diente. Gersters Bilder aber zeigten die Schönheiten der Erde, oft in eng geschnittenen Formaten, meist früh am Morgen oder im Abendlicht fotografiert, wenn die Sonnenstrahlen das Relief und die Besiedlung flach anstrahlten und so das Gelände mit langen Schatten modellierten. Viele unter uns verehrten diesen unglaublich gut informierten und versierten Könner der Flugfotografie.
Georg Gerster (1928 – 2019) am 10. September 2018 anlässlich der Geburtstagsfeier von Journal21 in einem historischen Zürcher Tram (Foto: Keystone/Anthony Anex/Journal21)
Es ging Georg Gerster nie nur um grafisch attraktive Szenen, er bereitete seine Flugfototouren auch kulturgeografisch akribisch genau vor, oft eben im Lesesaal der Bibliothek des Instituts. Einmal meinte er, es sei schon verrückt, dass selbst die schlimmsten Sünden auf der Erdoberfläche vom Flieger aus noch attraktiv aussähen, zum Beispiel die ockerfarbenen Auffangbecken von Minen oder die ausgekerbten Flächen der Braunkohleförderung im Tagbau.
Georg Gerster begann zunächst mit archäologischen Dokumentationen aus der Luft. Eine besondere Affinität verband ihn mit dem Nahen Osten. Eines seiner Werke hat durch den schrecklichen Lauf der Geschichte heute eine besondere Bedeutung erlangt: Flugbilder aus Syrien – von der Antike bis zur Moderne, 2003 erschienen. Die zahlreichen Aufnahmen stammen aus dem Jahr 1997 und dokumentieren den überaus reichen Schatz an Kulturdenkmälern dieser Region. Satellitenaufnahmen zeigen heute, welch dramatische Verluste und Zerstörungen der Krieg (und Raubgrabungen) im Land hinterlassen haben. Im gleichen Jahr erschien das globale Gegenstück zur Syrien-Dokumentation: Flug in die Vergangenheit – Archäologische Stätten der Menschheit in Flugbildern, herausgegeben von Charlotte Trümpler. Viele Sujets daraus sind zu visuellen Ikonen geworden, zuerst als Plakate für die untergegangene Swissair publiziert.
Was Gerster zu seiner Zeit aus allen möglichen Flugzeugen mit seinen Nikon-Kameras auf Diafilm fotografierte, machte ihn zum Pionier einer Branche, die viele Nachahmer gefunden hat und heute von Satelliten- und Drohnenaufnahmen geradezu überschwemmt wird. Das Besondere aber, was die Arbeit von Georg Gerster ausmacht, sind die kenntnisreichen, profund recherchierten Texte, die er seinen Bildern stets beigab und die ihnen so einen zeit- und kulturgeschichtlichen Mehrwert verleihen.
Henri Leuzinger, Rheinfelden
• Georg Gerster / Ralf-B. Wartke: Flugbilder aus Syrien – Von der Antike bis zur Moderne. Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein, 2003
• Georg Gerster: Flug in die Vergangenheit – Archäologische Stätten der Menschheit in Flugbildern. Herausgege-ben von Charlotte Trümpler. Schirmer/Mosel, München, 2003
• Aktuell: https://www.journal21.ch/das-dach-der-wallfahrtskirche-maria-pilar-aragonien-1995
Georg Gerster hat mit seiner Flugbildfotografie für mich Vergleichbares geleistet wie die Bilder des Hubble: Er hat die Wahrnehmung des Bildbetrachters entscheidend verändert. Dass ihn Yann Arthus-Bertrand mitunter kopiert (zum Beispiel die Wüstenaufnahme mit dem Wurfschatten einer Karawane) versuche ich wie ein Kompliment an das grosse Vorbild zu sehen…