Im Nationalmuseum Zürich ist derzeit die Fotoausstellung «Arbeit» zu sehen (Fotointern berichtete). Das Buch dazu ist im Limmat-Verlag erschienen und präsentiert sich als eine spannende Dokumentation über den Wandel der Arbeitswelt und über Berufsbilder, von denen es heute die meisten in der gezeigten Art nicht mehr gibt. Das Buch ist gleichermassen Berufs- und Fotografiegeschichte.
Bücher zu Ausstellungen sind nicht nur Erinnerungsstücke, sondern sie bieten in vielen Fällen interessante zusätzliche Informationen, sei es durch mehr und anders Bildmaterial sei es durch Hintergrundwissen in einem begleitenden Textteil. Das ist auch beim Buch «Arbeit / Le travail» der Fall, das zur Ausstellung im Landesmuseum erschien. Sie dauert übrigens noch bis 3. Januar 2016 und ist absolut sehenswert, wenn man sich für die Berufsentwicklung in der Schweiz und die Fotografie interessiert.
Dem Buch liegen ein paar Hunderttausend Fotografien zugrunde, die sich über Jahrzehnte in den Beständen des Nationalmuseums angesammelt haben – aus Presse- und Firmenarchiven, auch verschiedenen Nachlässen und aus Privatsammlungen. Jahrelang schlummerten diese Schätze vor sich hin, bis beschlossen wurde, diesen immensen Fundus zu sichten, zu selektionieren und schliesslich zu digitalisieren, damit er nicht nur für Studienzwecke zugänglich, sondern auch einem breiten Publikum gezeigt werden konnte. So ist eine Ausstellung entstanden, die nicht nur Bilder verschwundener oder gewandelter Berufe zeigt, sondern die zugleich ein interessanter Abriss der Fotogeschichte der Schweiz ist, der von der Daguerreotypie bis zu modernen Digitalverfahren reicht.
Das Buch dazu setzt der Ausstellung die Krone auf. Es ist nicht nur eine bleibende Erinnerung an eine Bilderpräsentation, die anfangs Januar 2016 wieder verschwinden wird, sondern es ist eine wertvolle Dokumentation der Arbeit in der Schweiz – Arbeit, die sich über alle Wirtschafts- und Lebensbereiche sowie über eine Zeitspanne der letzten 150 Jahre erstreckt. Sie zeigt vier verschiedene thematische Aspekte: Frauen und Männer, ausländische Arbeitskräfte in der Schweiz, Arbeit während den beiden Weltkriegen sowie Mensch und Maschine.
Die Industrialisierung hat den Grossteil der Berufsbilder gewandelt, hat alte Techniken zum Verschwinden gebracht und neue in die Fabrikhallen und Schreibtische gerufen. Diese Entwicklung in Bildern zu sehen, die mengen- und aussagemässig über den begrenzten Platz der Ausstellung hinausgehen, macht das Buch zu einer einmaligen und lobenswerten Dokumentation.
Das Buch wird durch mehrere, sehr interessante und spannende Textteile ergänzt, die einen Einblick in den Bilderschatz des Nationalmuseums geben, die Entwicklung der Fotografie aufzeigen, den Wandel der Berufe der verschiedensten Bereiche erklären und schliesslich vier Berufe in Interviews beleuchten, die einen enormen Wandel hinter sich haben: Eine Weberin kommt zu Wort, ein Berufsfischer erzählt aus seinem Alltag, ein Schindelmacher erklärt sein Handwerk und eine Fotolaborantin schildert, wie sie den Wandel von der analogen zur digitalen Fotografie erlebt hat. Die Texte sind sehr spannend geschrieben und ergänzen das Buch sinnvoll. Und schliesslich endet das Buch mit einem humorvollen Aufsatz über moderne Berufsbezeichnungen, die zeigen, wie lächerlich es wirkt, wenn beispielsweise ein Gärtner zum «Technical Horticultural Maintenance Officer» wird …
Alles in allem, ein Buch, das nicht nur eine Dokumentation zur Ausstellung ist, sondern das zu einem faszinierenden Thema eine vielfältige und sorgfältig getroffene Bildauswahl liefert. Es ist ein Buch von nachhaltigem Wert, das durch künftige neue Berufsbilder und einen steten Wandel der Arbeitswelt noch an Bedeutung gewinnen dürfte.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
«Arbeit. Fotografien aus der Schweiz 1860–2015» präsentiert fotografische Bilder der Arbeit in der Schweiz aus mehr als 150 Jahren. Die Fotografien dokumentieren nicht nur den sichtbaren Wandel, der sich in den verschiedenen Arbeitswelten vollzogen hat, sondern auch die Geschichte der Fotografie der Arbeit selbst. Im Verlauf der Zeit rückt immer stärker der Mensch ins Zentrum des Bildes: als namenloser Vertreter eines Berufes, als Teil einer «Betriebsfamilie» auf einem Belegschaftsbild und schliesslich als individueller Mitarbeiter und des Unternehmens wichtigstes Kapital. Einzelne Berufsbiografien machen den Wandel der Arbeit und den persönlichen Umgang damit nachvollziehbar. In Gesprächen über Fotografien werden Erinnerungen an Alltägliches und Besonderes wach und lassen das Berufsethos zum Vorschein treten. Beiträge aus Arbeitspsychologie und Soziologie beleuchten aktuelle Tendenzen und die Bedeutung der Arbeit für unser Selbst- und Fremdbild. Und schliesslich werden die schönsten Blüten neuer Berufsbezeichnungen humorvoll ad absurdum geführt.
Der Inhalt
Vorwort
Einleitung
Stationen der Schweizer Fotogeschichte
Fotografien der Arbeit: Die Bestände des Schweizerischen Nationalmuseums
Firmenfotografie
Private Fotografie
Freie Fotografen
Pressefotografie
Postkarten
Fotografien der Arbeit: Ein thematischer Zugang
«Maurer, Frauenberuf?»
Arbeit in Kriegszeiten
«Wir reisten alle ins ferne Land und trafen uns im Schweizerland»
Mensch und Maschine, ein intimer Blick
«Der Mensch nützt seinen Spielraum»
Die Psychologin Dr. Anita Keller und der Soziologe Prof. Dr. Franz Schultheis im Gespräch
Berufe im Wandel
Lotti Kunz, ehemalige Weberin
Franz Hiestand, Berufsfischer
Patrik Stäger, Schindelmacher
Pascale Brügger, Fotolaborantin und Fotografin
Man sagt nicht mehr so, im Fall!
Bibliografie
Autorinnen und Autoren
Die Autoren und Autoren
- Ricabeth Steiger
- Dario Donati
- Markus Schürpf
- Fabian Müller
- Daniel Strassberg
- Max Küng
- Daniela Nowakowski
Bibliografie
Arbeit / Le travail
Fotografien aus der Schweiz 1860–2015 /
Photographies provenant de Suisse 1860–2015
Herausgeber: Schweizerisches Nationalmuseum
224 Seiten, 21 x 28 cm, gebunden, 218 Fotografien, vierfarbig
Text zweisprachig Deutsch / Französisch
September 2015
CHF 48.–, EUR 52.–
ISBN 978-3-85791-790-5
Das Buch kann hier online bestellt oder im Shop das Landesmuseums gekauft werden.