Urs Tillmanns, 13. September 2011, 07:00 Uhr

Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg

Bereits zum vierten Mal präsentieren die Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg in der Rhein-Neckar Metropolregion vom 10. September bis 6. November 2011 das grösste kuratierte Fotofestival in Deutschland und eines der grössten in Europa. 56 Fotokünstler aus 32 Ländern zeigen über 1’000 Bilder und damit eine einmalige Bilderschau zum Thema «Bilder der Menschheit».

AUF DEN SPUREN DER CONDITIO HUMANA

Formal trägt das 4. Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg den erweiterten Grenzen des Mediums Rechnung: Installationen, Diavorführungen, Filme und Videos sorgen neben «klassischen» Fotografien für ein repräsentatives Spektrum aktueller fotografischer und kinematografischer Verfahren. Die Arbeiten der 56 eingeladenen Künstler aus 32 Ländern positionieren sich im bewährten Spannungsfeld zwischen Kunst und Dokumentation. Inhaltlich widmet sich die 4. Festivalausgabe der Fotografie als Zeugin einer «conditio humana» zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts. Welche Wege beschreitet die Fotografie, um Einzelansichten und Gesamtbilder der Menschheit zu vermitteln?

Wie etwa transportieren gegenwärtige Fotografien ethnografisches und anthropologisches Wissen vor dem Hintergrund postkolonialer Diskurse? Und wo liegen Wahrheit und Authentizität eines konstruiert fotografischen Bildes: im Auge des Betrachters oder im Auge des Fotografen?

Bani Abidi, Chandra Acharya, 7:50 pm, 30 August 2008, Ramadan, Karachi. Courtesy Green Cardamom

DIE BETEILIGTEN INSTITUTIONEN

Für das 4. Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg werden sich sieben renommierte Häuser der drei Festivalstandorte sowie ein Aussenprojekt am Alten Messplatz in Mannheim dem Facettenreichtum der bevorstehenden Festivalthematik widmen: die Kunsthalle und ZEPHYR Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, der Kunstverein und das Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen sowie die Sammlung Prinzhorn, der Kunstverein und die halle02/Kunsthalle in Heidelberg. Das 4. Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg vom 10. September bis zum 6. November 2011 widmet sich nicht der Jagd nach den sensationslüsternen Porträts unserer Zeit, sondern versteht sich vielmehr als perspektivenreiche «Expedition ins Reich des Menschen» im Zeitalter der Globalisierung.

Olaf Otto Becker, River 2 Position 2 aus der Serie Above Zero, 2008, © Olaf Otto Becker

AUGE UM AUGE, SHOT BY SHOT: 56 INTERNATIONALE FOTOGRAFEN UND KÜNSTLER ERFORSCHEN DAS BILD DER MENSCHHEIT IM 21. JAHRHUNDERT EINE PREVIEW DURCH 7 AUSSTELLUNGSORTE IN DEN 3 FESTIVALSTÄDTEN MANNHEIM, LUDWIGSHAFEN UND HEIDELBERG

Wie könnte ein Porträt der Menschheit im Jahr 2011 aussehen? Und was verrät das Medium Fotografie in seiner Vielseitigkeit und Komplexität über die Herausforderungen, denen die Menschen in Europa, Afrika, Südamerika und Asien heute gegenüberstehen?

Für die 4. Ausgabe des grössten kuratierten Fotofestivals in Deutschland haben sich Katerina Gregos und Solvej Helweg Ovesen auf die Suche nach Bildern der Menschheit begeben. Das Auge des «einsamen Jägers» aus dem Festival-Titel beschreibt das Auge des Fotografen, «das nach der Besonderheit sucht, nach der Andersartigkeit und der Überraschung, nach Ausdrucksformen des Unsichtbaren und des Widersprüchlichen», so die Kuratorinnen (im Ausstellungskatalog). Inhaltlich umkreisen die Festivalbeiträge gesellschaftspolitische Themenbereiche wie das ethnografische Anderssein, Toleranz und Selbstzensur, Marginalisierung und ökologische sowie wirtschaftliche Ausbeutung.

Die mehr als 1‘000 Werke der Ausstellungen verfolgen einen neuen «fotografischen Humanismus», der dem Auge des Fotografen und Betrachters nahelegt, über das eigentliche Bild hinaus zu denken. Neuentdeckt wird hier die Fähigkeit der Kamera, Wissen als Empfindung oder Emotion und nicht als blosses Wahrheitszeugnis zu vermitteln. Emotional, entdeckerfreudig, klarsichtig und hochkarätig präsentiert sich das Programm des 4. Fotofestivals Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg in fünf Festivalsektionen, verteilt auf sieben renommierte Häuser und die drei Festivalstädte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Ob in Gestalt von Inszenierung oder Fiktion, traditioneller Landschafts- und Porträtfotografie, als vorherrschendes dokumentarisches Zeugnis oder als Film- und Videoinstallation in Form von bewegten Bildern: Das hier gezeigte Spektrum der fotografischen Ausdrucksformen entfesselt mit eindringlicher Bildkraft und sozialpolitischem Feinsinn bestechende Erzählungen aus dem Leben der Menschen im 21. Jahrhundert.

Guy Tillim, Typing pool, Town Hall, Likasi, DR Congo, 2007

 

MANNHEIM: AFFEKT UND WIRKUNG VON POLITIK IN ZEPHYR – Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorn Museen

Der Ausstellungsbereich in Zephyr Raum für Fotografie geht der Frage nach, welche direkten Einflüsse politische Entscheidungen und die damit einhergehenden Machtgefüge auf die Lebensrealitäten und sozialen Beziehungen der Menschen haben.

Beiträge von elf Künstlern und Fotografen wurden dafür ausgewählt, darunter grosse Namen wie die diesjährige Biennale-Teilnehmerin Taryn Simon (USA) oder der frühere Fotojournalist Guy Tillim (Südafrika). Simon, die für «The Innocents» (2002) zwei Jahre mit zu Unrecht verurteilten US-amerikanischen Gefängnisinsassen verbrachte, provoziert mit ihrer Fotoserie die Frage nach der Beweiskraft von Fotografien zum Zwecke der Strafverfolgung. Andere Arbeiten, etwa «Today’s Life and War» (2008) von Gohar Dashti (Iran), «Sworn Virgins» (2009) von Johan Spanner (Dänemark) oder «Post Election Violence» (2008) von Boniface Mwangi (Kenia) widmen sich – mal ironisch inszeniert, mal absurd, mal sozialdokumentarisch – dem Einbruch von Krieg und Gewalt in den privaten Lebensalltag der Menschen im Iran, im Irak oder in Kenia.

ROLLE UND RITUAL in der Kunsthalle Mannheim

Gesellschafts- und bewusstseinsstiftend: Die kollektive Erfahrung von Rollenbildern und Ritualen prägt die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Menschen in den verschiedenen Teilen der Welt. Die Kunsthalle Mannheim untersucht dies mit der hier gezeigten Auswahl von 16 Positionen. Traditionelle Mythen und Rituale etwa der islamischen Minderheitenkultur in Kasachstan werden in «The Way to Rome» (2007) von Said Atabekov (Usbekistan) sichtbar gemacht, während die Zwillingsbrüder Hasan & Husain Essop (Südafrika) in ihrer Arbeit «Garden of Earthly Delights» (2007) mit konstruierten Ikonografien auf Identitätskonflikte unter muslimischen Männern verweisen. Surreale Szenerien treten in der Porträtserie «Nollywood» (2008–2009) des Südafrikaners Pieter Hugo zutage, wofür Bilder der boomenden Filmindustrie Nigerias und Stereotypen der westafrikanischen Alltagsrealität miteinander verschmolzen sind.

Said Atabekov aus der Serie Way to Rome, 2007, Courtesy of Impronte Contemporary Art, Milano

Der Videokünstler Clemens von Wedemeyer (Deutschland) zeigt mit Found Footage (aus: Die vierte Wand) (2008–2010), wie eben solche Rollenklischees und Fiktionen zur Vortäuschung falscher Wirklichkeiten anleiten und den Betrachter verführen können. Die visuelle Anthropologie wird durch künstlerische Beiträge erweitert.

Aussenprojekt von BEAT STREULI auf dem Alten Messplatz

Welcher Ort scheint geeigneter für einen neu entstehenden Festival-Beitrag zum Thema «Images of Humankind» als der öffentliche Raum der Festivalregion? Eine Woche lang hat der Schweizer Künstler Beat Streuli für sein In-Situ-Projekt Passanten in der Mannheimer Innenstadt fotografiert. Die grossformatige Plakatwand seiner Intervention verläuft entlang des Messplatzes auf der südlichen Platzhälfte und erweitert somit den musealen Ausstellungskontext der Fotoarbeiten um den urbanen Raum ihrer Entstehung. Street Photography in Mannheim.

 

LUDWIGSHAFEN: ÖKOLOGISCHE KREISLÄUFE im Wilhelm-Hack-Museum

Klimawandel, Ausbeutung fossiler Energiequellen und Gefährdung fragiler Ökosysteme stehen für einen entscheidenden Wandel im Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt. Unter den 12 im Wilhelm-Hack-Museum ausgestellten Positionen bezeugen manche die verheerenden Auswirkungen der Globalisierung auf die weltweite Verschiebung der Arbeitsmärkte: Überzeugend und aufklärend etwa die Fotografien des Kanadiers Edward Burtynsky («Oil» oder «Manufacturing», Fotoprojekte, die über 10 Jahre liefen). Wortlos beklemmend hingegen die Videoarbeit «Factory» (2003) von Chen Chieh-Jen aus Taiwan. Über das Genre der Landschaftsfotografie nähern sich Meister ihres Fachs wie Olaf Otto Becker und Florian Maier-Aichen (beide Deutschland) der Entromantisierung unserer Naturräume. Megacities und postindustrielle Landschaften geraten in den Arbeiten von Dokumenta-Teilnehmerin Aglaia Konrad (Österreich), Nicu Ilfoveanu (Rumänien) ins Visier. Von Weitem wirkt Yang Yongliangs (China) 9 Meter lange Fotografie «Artificial Wonderland No. 1» (2010), wie eine friedliche Berglandschaft an einem leicht diesigen Tag. Bei näherer Betrachtung entdeckt man, dass die Berge wie mit einem urbanen ‚Virus’ von Wolkenkratzern, Kränen, und Industriesmog überzogen sind.

Edward Burtynsky, «Socar Oil Fields #1a , Baku, Azerbaijan», 2006, © Edward Burtynsky, Courtesy Galerie Stefan Röpke, Köln

DAS ALLTÄGLICHE LEBEN im Kunstverein Ludwigshafen

Der Alltag als grenzüberschreitendes Bindeglied zwischen den Menschen steht im Mittelpunkt der Ausstellung im Kunstverein Ludwigshafen. Tris Vonna-Michell (UK), der als Geschichtenerzähler mit spezieller Vorliebe für akustisch begleitete Dia-Projektionen bereits internationale Aufmerksamkeit geniesst, produzierte eigens für das Fotofestival seine neue Arbeit «Endless Tapes» (2011), basierend auf eingehenden Vor-Ort-Recherchen in den Festivalstädten Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg.

Daneben sind 10 weitere Künstler mit diversen Medien vertreten, darunter Newcomer wie der Italiener Francesco Giusti mit «Sapologie» (2009) und Stars wie der Däne Jacob Holdt, der für die Serie seiner «American Pictures» (1970–1975) fünf Jahre lang als Vagabund am Rand der amerikanischen Gesellschaft lebte. Schliesslich wird das aktuelle Thema ‚Verschmelzung von Online- und Offline-Existenzen’ in der neuproduzierten Fotoarbeit «Alone Together» (2011) von Sofia Burchardi (Dänemark) und Plamen Bontchev (Bulgarien) auf einen präsenten Punkt gebracht.

Peter Funch, Memory Lane 2008 aus der Serie Babel Tales, Courtesy V1 Gallery 

HEIDELBERG: LEBENSKREISLÄUFE im Heidelberger Kunstverein

14 internationale Festivalteilnehmer widmen sich in der Ausstellung im Heidelberger Kunstverein den individuellen wie auch kollektiven Lebenszyklen des Menschen. Neuinterpretationen des klassischen Familienalbums wird dabei ebenso Raum gegeben (Raumcollage «Vox Populi, Tokyo», 2007 der arrivierten Künstlerin Fiona Tan) wie fiktiv inszenierten biografische Momente (Installation «Before the Fall», 2010 des Briten Simon Fujiwara) oder gescheiterten Existenzen eines zusammengebrochenen Gesellschaftssystems (Fotoserie «Case History», 1997–1999 des Ukrainers Boris Mikhailov). Mit Meilensteinen kollektiver Lebenskreisläufe beschäftigen sich die Beiträge der internationalen Shooting Stars Köken Ergun (Türkei, Videoinstallation «Wedding», 2009), Heta Kuchka (Finnland, Video «Tuomo & Paavo», 2009) und Agnès Geoffray (Frankreich, Fotoserie «Les Suspendus», 2010–2011).

Einzelausstellung ROGER BALLEN in der Sammlung Prinzhorn

Roger Ballens anthropologischer Blick richtet sich auf die Marginalisierten, Verstossenen und Entfremdeten der weissen südafrikanischen Gesellschaft. Die über den Zeitraum von mehr als 13 Jahren entstandene Serie «Outland» (1987–2000) umfasst einige der fesselndsten Dokumente der Südafrikanischen Lebensrealität im ausgehenden 20. Jahrhundert. Mit den Schwarz-Weiss-Fotografien der Serie «Shadow Chamber» (2001–2004) überführte der gebürtige New Yorker diesen soziologischen Ansatz ins neue Jahrtausend.

Roger Ballen, Tommy Samson and a mask, 2000, Courtesy the artist and Gagosian Gallery

Einzelausstellung TOBIAS ZIELONY in der halle02/Kunsthalle

Für die Serien «Quartiers Nord» (2003) und «Vele» (2009–2010) hat Tobias Zielony (D) über 10 Jahre hinweg das nächtliche Leben in verschiedenen europäischen Vorstädten festgehalten und erkundet. Zielony versucht dabei, die Stimmung der urbanen Treffpunkte zu ergründen und die lokalen wie auch globalen Einflüsse auf die Weiterentwicklung der Jugendkultur zu ergründen. Seine Arbeitsweise an den Schnittflächen von dokumentarischer Reportage und künstlerischer Fotografie kann als repräsentativer Abschluss für den diesjährigen Festivalfokus gelten: den Künstler und Fotografen als Jäger und Erforscher eines spezifisch anderen Bildatlanten der Menschheit im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu verstehen.

Das diesjährige Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg wird von Katerina Gregos (GR/BE) und Solvej Helweg Ovesen (DK/D) kuratiert.

 

Weitere Informationen finden Sie hier.

 

Kurzinfos:

Titel: THE EYE IS A LONELY HUNTER: IMAGES OF HUMANKIND

4. Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg

Laufzeit: 10. September bis 6. November 2011

Kuratoren: Katerina Gregos und Solvej Helweg Ovesen

Festivalumfang: 1‘029 Werke der Fotografie und Videokunst von 56 Künstlern aus 32 Ländern

Orte:

Mannheim:
Kunsthalle Mannheim
ZEPHYR Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorn-Museen
Aussenprojekt am Alten Messplatz

Ludwigshafen:
Kunstverein
Wilhelm-Hack-Museum

Heidelberg:
Sammlung Prinzhorn
Heidelberger Kunstverein
halle02/Kunsthalle

Katalog:

Der Festivalkatalog wird das Thema Humanismus in zeitgenössicher Kunst- und Dokumentarfotografie visuell und theoretisch spiegeln.
Herausgeber: Katerina Gregos, Solvej Helweg Ovesen, Fotofestival Mannheim Ludwigshafen Heidelberg e.V.
Designer: Manuel Raeder
Katalog: 240 Seiten, Farbe und S/W
Preis: 20 Euro

Festivalbüro: Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg e.V.

Geschäftsführung/Festivalmanagement: Carolin Ellwanger

Ausstellungsleitung: Heide Häusler

Geschäftsstelle: Sabine von Wussow, E 4,6, DE-68159 Mannheim
Tel: 0049 621 122 73 12
info [at] fotofestival.info

 

 

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