Urs Tillmanns, 23. Januar 2011, 07:00 Uhr

Welche fotografischen Bereiche haben (k)eine Zukunft?

Dr. Martina Mettner hat ein hervorragendes Buch «Erfolg als Fotograf» verfasst und dieses auch auf der photo10 präsentiert. Wir bringen hier eine Leseprobe daraus, die sich mit der Frage befasst «Welche fotografischen Bereiche (k)eine Zukunft haben». Das Kapitel ist für junge Berufseinsteiger gedacht, aber ebenso für Fotografen interessant, die eine Neuorientierung suchen.

Die Aufgaben- und Anwendungsbereiche der klassischen Fotografie befinden sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts in einem so raschen und grundsätzlichen Wandel, dass es schwer ist, Prognosen zu treffen. Gleichwohl brauchen gerade Berufsanfänger Anhaltspunkte. Man kann selbstverständlich alles fotografieren. Wenn man für die Sache brennt, wird man die letzten verbliebenen Jobs eines aussterbenden Zweiges wie beispielsweise der Kriegsberichterstattung ergattern und damit glücklich. Solange man aber noch nicht weiß, wo es hingehen soll, oder die Stimme der Vernunft sich Gehör verschaffen kann, sollten die Zukunftsaussichten einiger fotografischer Arbeitsfelder bedacht werden. Diese sind nichts Abstraktes, sondern werden durch Personen repräsentiert, nämlich jene, die Fotografen beauftragen und entlohnen. Große Unklarheit herrscht gerade bei Anfängern, wer der richtige Ansprechpartner in Unternehmen und Agenturen ist. Der Kunde, das unbekannte Wesen, soll in diesem Kapitel ebenfalls näher beleuchtet werden.

Welche fotografischen Bereiche (k)eine Zukunft haben

Die klassische Nachrichten- und Reportagefotografie ist Teil des Magazinjournalismus. Den Höhepunkt erreichte der Fotojournalismus in den sechziger, siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Heute gibt es die unmittelbare Berichterstattung durch Jedermann, weil nahezu jeder mit Kamera und Videoaufzeichnung sowie der Möglichkeit, diese sofort zu senden, ausgestattet ist. Zudem hat sich die Haltung grundlegend geändert. Heute gilt es (völlig zurecht) als unethisch, fremde Menschen ungefragt abzulichten und die Fotos zu veröffentlichen. Die klassische Schnappschuss-Fotografie von Henri Cartier-Bresson und anderen frühen Magnum-Fotografen ist somit passe. Als Fotojournalist, der über aktuelle Ereignisse berichtet, hat man heutzutage leider nur noch sehr eingeschränkte Verdienstmöglichkeiten.

§ Gerade bei der Straßenfotografie ist immer an das «Recht am eigenem Bild» der abgebildeten Personen zu denken.

Interessant ist hingegen die Editorial-Fotografie – vielleicht nicht einmal in finanzieller Hinsicht. Aber aufgrund ihrer Vielfältigkeit bietet sie die meisten Möglichkeiten, den individuellen Stil auszuprägen und die Referenzliste aufzubauen. Editorialfotografie ist nichts anderes als Fotografie im Auftrag von Magazinen und Zeitungen für den redaktionellen Teil. Das können Porträts von Unternehmern sein in der Wirtschaftspresse, ein Bildbericht über die Herstellung von Computer-Chips für ein Firmenmagazin, eine Illustration zur Gesundheitsreform für eine große Illustrierte, eine Reportage über ein Pferderennen für ein Sportmagazin, Interieuraufnahmen für ein Design-Magazin, eine Reisegeschichte in einem In-Flight-Magazin. Die Aufzählung soll aber nicht anraten, selbst als Gemischtwarenladen anzutreten, sondern nur das Spektum in etwa verdeutlichen. Sehr viele Fotografen denken nämlich bei Magazin nur «Stern» und bei Da-will-ich-drin-veröffentlichen wahlweise an «Geo» oder an die «Vogue». Dabei ist Deutschland einer der am dichtesten bestückten Zeitschriftenmärkte überhaupt. Und das Magazin mit der höchsten Auflage ist? Die ADAC Motorwelt! Mit einer Gesamtauflage von 13,8 Millionen Exemplaren erreicht das Magazin 17,7 Millionen Leser und ist damit in Europa das mit Abstand reichweitenstärkste Einzelmedium.

Eine kleine praktische Übung am Zeitungskiosk

Die größte Magazin-Auswahl finden Sie am Bahnhof. Gucken Sie sich an, welche Unterteilungen es gibt und welche Magazine Ihnen gefallen. Schauen Sie rein, ob die Fotos Fotografen-Credits haben oder nur Bildagenturmaterial verwendet wird. So Lernen Sie Ihren Markt verstehen! Mindestens ein Heft, in dem Sie gerne veröffentlichen würden, sollten Sie kaufen und sich genau ansehen, besser noch: lesen, vor allem das Impressum. So bekommen Sie mit der Zeit ein Gefühl dafür, wo welche Verlage sitzen, welche Art von Heft verlegt wird und wie die Artdirectorin und die Bildredakteurin heißen.

Dabei zeigt der Bahnhofskiosk nur die Spitze des Eisberges, die Publikumstitel und die populären Special Interest Titel (Foto, Reiten, Tattoo). Daneben oder, um im Bild zu bleiben, darunter, gibt es eine große Zahl von noch spezielleren Special Interest Titeln (Akt-Fotografie, Pony-Reiten, Knast-Tattoos). Nur im Direktvertrieb erhältlich sind Fachzeitschriften, die spezielle Berufsgruppen adressieren, wie beispielsweise Architekten oder Designer. Über dieses Angebot informiert die Fachzeitschriftenausstellung der Frankfurter Buchmesse, jährlich im Oktober.

Ebenfalls auch nicht im freien Verkauf, sondern mehr oder minder kostenlos erhältlich, sind Kundenmagazine wie das eben schon genannte. Da reicht das Spektrum vom Mitnahmeheft in der Drogerie oder in der Apotheke bis hin zum extrem teuer produzierten Hochglanzmagazin der Autohersteller. Den ganzen Bereich des Corporate Publishing haben übrigens die wenigsten Fotografen auf ihrem inneren Radar. Als letztes seien der Vollständigkeit halber noch die Mitarbeiterzeitschriften in Unternehmen genannt, die bei international agierenden Konzernen durchaus aufwändig produziert sein können.

Damit wären wir bei der Industrie- und Businessfotografie. Die reicht im Prinzip von der Aufnahme der Werkshalle über das Mitarbeiterporträt bis zum Produktfoto, ist also recht vielfältig und abwechslungsreich. Ein eigenes Studio ist nur ausnahmsweise erforderlich. In der Business-Fotografie arbeitet die Fotografin oder der Fotograf direkt in und mit dem Unternehmen, sozusagen F2B.

Werbefotografen arbeiten hauptsächlich im eigenen oder gemieteten Studio. Ihr Kunde ist die Werbeagentur, die wiederum im Auftrag eines Kunden tätig wird. Das macht sofort deutlich, dass hier immer um drei Ecken gedacht und gearbeitet wird. Entsprechende kooperative und moderierende Fähigkeiten sind von Vorteil. Bei den Werbefotografen wird unterschieden in Ressorts: People, Food, Transportation, Stills, also Menschen, Essen, Autos und Stillleben. (Faszinierend, wie sich die Vielfalt der Welt für die Werber in nur vier Bereiche aufteilen lässt.) Wer Stills macht, kann auch Food shooten, aber Food und People schließen sich tendenziell aus. Autofotografen sind sowieso eine extra Klasse. Heute wird allerdings kaum noch ein Auto fotografiert, sondern altes berechnet: CGI, Computer Generated Images. Auf einer ganz simplen Ebene, der Fotografie in und für Versandhäuser, sieht man ja seit Jahren, dass ein Kleidungsstück nicht mehr in den unterschiedlichen Farben fotografiert wird, sondern die Farben am Rechner geändert werden. Da ist es nur ein kleiner Schritt zum komplett gerenderten Katalogmotiv. Statt an photogeshoppten Models in Standardposen sehen wir die Arbeitskleidung für Köche oder die neueste Bademode für Übergewichtige an Avataren mit verkaufsoptimiertem Aussehen.

Der Fotograf bewegt sich heute im Spannungsfeld einer technologischen Entwicklung, die seinen Workflow laufend komplexer macht, ihn aber zugleich klassischer Brot und-Butter-Arbeiten beraubt.

Mit der Herstellung und Propagierung der inhaltsentleerten Künstlichkeit stark überarbeiteter Fotomotive, die einige Fotografen so schätzen, sägen sie an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen. Solche Motive müssen nämlich gar nicht mehr neu fotografiert werden. Entweder benutzt man Material aus der Bildagentur für die Überarbeitung oder man erzeugt das Ganze von vornherein am Rechner.

Das Team aus Technikexperte am Rechner und Fotograf als Experte für den Lichteinfall ist schon Realität und könnte sich rasend schnell durchsetzen. Keine schöne Perspektive für die Fotografen – so ganz ohne Kamera zu arbeiten.

Bei dieser Entwicklung müssen natürlich auch Architekturfotografen um Aufträge bangen. Wichtig ist, einen Unterschied zwischen Architektur- und Gebäudefotografie zu formulieren. Der Architekturfotograf arbeitet mit dem Architekten oder versteht zumindest, worum es beim Entwurf des Gebäudes ging, und setzt das fotografisch mit Hilfe einer Fachkamera um. Dazu wird in der Regel ein größerer Aufwand erforderlich sein, beispielsweise, indem Anweisungen erteilt werden, in welchen Etagen Licht zu brennen hat oder in welcher Stellung Jalousien sein sollten. Vom Warten auf das beste Licht gar nicht zu sprechen. Der Gebäudefotograf hingegen besitzt meist für seine Kamera nicht einmal ein Shift-Objektiv, stellt sich auf den besetzten Parkplatz vors Haus und knipst. So sieht es dann auch aus: Da sind Schatten, wo besser keine wären, stehen rote oder gelbe Autos, die extrem stören, sind die Jalousien mal versteckt, mal runtergelassen. Mit einem Wort: grauenhaft. Gleichwohl wird auch für dieses fotografisch-handwerkliche Debakel Honorar verlangt und gezahlt. Besser wäre es, bei diesem Ausverkauf der eigenen Berufsstandards nicht mitzumachen.

Wenn es eingangs des Kapitels hieß, man müsse für seine Überzeugung brennen, um die letzten verbliebenen Jobs zu bekommen, dann gilt das in besonderem Maße für die Modefotografie. Die Mode ist Kultur, Ausdruck der Situation einer Gesellschaft, Mode ist auch eine Multimillionendollarindustrie. Zwei Gesichtspunkte seien an dieser Stelle erwähnt: Die klassische Modefotografie für Magazine und Werbung hat viel von ihrer Bedeutung eingebüßt. Waren früher nur handverlesene Fotografen zu den Modeschauen zugelassen, wurde 2009 erstmals eine Show per Live-Stream ins Internet übertragen, so war das im folgenden Jahr schon so eine Art Must-have für die Modehäuser. Alles geht instantmäßig: die Besprechungen stehen eine Stunde später im Netz und bestellen kann man die Modelle gleich im Online-Shop. Die langen Produktionszeiten der Fashion-Magazine passen da nicht ins zukünftige Bild. Wer möchte sich nach Monaten noch Stylings von Klamotten ansehen, die bereits im eigenen Schrank hängen (wenn auch nur im virtuellen)?

Die Entwicklung in der Modefotografie ging in den letzten Jahren vom Trend-Spotting an Prominenten zum Erfolg der Street-Style-Blogs. Selbst Mode-Magazine zeigen jetzt schon Street-Style, also wie Leute auf der Straße gekleidet sind. Fotografisch ist das kein Gewinn; diese Styles fotografieren durchweg Leute ohne fotografische Ausbildung und oft auch ohne fotografisches Auge.

Aus dem Nähkästchen: Bitte nur in die Modefotografie wollen, wenn man sich auch für Mode, Modemagazine und Styling interessiert.

Der zweite Gesichtspunkt ist die Illusion. Nicht nur lebt diese Industrie von Illusionen, auch die Fotografinnen und Fotografen, die in die Modebranche möchten, pflegen ihre Illusionen und fotografieren Einzelbilder. Damit wollen sie immer «in die Vogue». Ganz offenbar haben Sie weder «Vogue» noch «Elle» abonniert, denn sonst wüssten sie, dass hier Bildstrecken abgedruckt werden, die noch dazu auf einem Konzept basieren. Dabei sollte man die Bedeutung des Fotografen nicht überschätzen: So viel zu melden hat der nämlich nicht. Viel wichtiger ist das Styling. Und dafür gibt es Expertinnen, die den Look der Produktion kreieren. Die Fotos werden nicht danach ausgesucht, ob sie besonders kompliziert zu machen waren. Gültig sind überwiegend außerfotografische Kriterien, zum Beispiel welcher Designer auf dem Foto mit seinem Produkt repräsentiert ist. Gerade in der klassischen Modefotografie ist der Fotograf ein Dienstleister. Allerdings ein durchaus gut bezahlter und in der Welt herumreisender. Nicht das schlechteste Los.

Die Realität unterjungen Fotografen und Fotografinnen sieht hingegen so aus: «Das Problem ist, dass ich mein Geld eigentlich mit Modefotografie verdienen möchte. Ich sehe aber keinen Weg, da einen Fuß in die Tür zu bekommen. Als ich zum Beispiel bei der Brigitte anrief, um mich mit meinen Arbeiten vorzustellen, haben die mich mit einer 17jährigen Mode-Praktikantin zusammengesetzt, die natürlich überhaupt keine Ahnung hatte. Klar, mochte die mein Portfolio, aber das bringt mir ja nichts», schrieb mir eine junge Fotografin im Februar 2010 in einer E-Mail. Ein Fotograf, der nach Paris ging, berichtete in einem Gespräch, er habe fünf Jahre gebraucht, um an die guten Jobs zu kommen.

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Dieser Text ist eine Leseprobe aus dem Buch «Erfolg als Fotograf» von Dr. Martina Mettner, das im Fotofeinkost-Verlag erschienen ist. Es wurde hier ausführlich besprochen und kann bei Light+Byte AG für CHF 54.– bestellt werden.

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