Urs Tillmanns, 13. November 2010, 07:00 Uhr

Forum Schlossplatz, Aarau: «Im Bild. Vom Umgang mit Bildern»

Im Forum Schlossplatz in Aarau ist eine Ausstellung besonderer Art zu sehen: Rund fünfzig Personen im Alter von neun bis neunzig Jahren zeigen ihr privates Lieblingsbild, darunter auch Fotos, und schildern, welche Bedeutung Bilder für sie haben und von welchen Überlegungen sie sich beim Hängen  haben leiten lassen. «Im Bild» dauert noch bis 30. Januar 2011

Bilder prägen unseren Alltag. Allein die Werbung im öffentlichen und privaten Raum konfrontiert uns mit Bilderfluten. Wir leben, so die Kulturwissenschaft, heute nicht nur mit den Bildern, sondern zunehmend auch in den Bildern, die als «Welten» um uns herum erzeugt werden. Trotz dieser starken Präsenz ist das Bedürfnis, sich mit Bildern zu umgeben, nach wie vor vorhanden. Welche Funktionen aber übernehmen Bilder und wie werden sie zuhause und im musealen Raum präsentiert?

Die Ausstellung «Im Bild» greift diese Fragen auf. Rund fünfzig Personen im Alter von neun bis neunzig Jahren zeigen ihr privates Lieblingsbild und schildern, welche Bedeutung Bilder für sie haben und von welchen Überlegungen sie sich beim Hängen leiten lassen. Darüber hinaus werden Kurator/innen eingeladen, mit Werken aus ein und derselben privaten Kunstsammlung einen Raum zu gestalten. Dieser «Kuratorenraum» präsentiert sich so alle drei Wochen neu. Die vier kuratorischen Konzepte und der individuelle Umgang mit der Sammlung werden in der Ausstellung vorgestellt und vergleichbar gemacht.

Das Veranstaltungsprogramm bietet Gelegenheit, sich vertieft mit dem Thema «Bild» im Kontext seiner Funktion und seiner Inszenierung, sowohl im privaten wie im musealen Raum, auseinanderzusetzen. Eingeladen werden Expertinnen und Experten aus der Alltags- und Bildforschung sowie der Kunst- und Kulturgeschichte.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Forum Schlossplatz.

Foto: Thomas Widmer, Aarau


Unser Alltag ist geprägt von einer immensen Bilderfahrung. Trotz der medialen Allgegenwart ist das Bedürfnis, sich mit Bildern zu umgeben nach wie vor vorhanden. Was aber motiviert Menschen ruhende, stille Bilder in ihre Privaträume zu hängen? Welche Funktionen übernehmen Bilder und wie werden sie zuhause und im musealen Raum inszeniert?

Seit den 1990er Jahren ist eine Entwicklung auszumachen, die für das Alltagsleben die Wende hin zur Dominanz des Bildes in nahezu allen Lebensbereichen bedeutet. Bilder, so die Kulturwissenschaft, sind zum Leitmedium geworden: «Wir leben heute nicht nur mit den Bildern (wie noch im 19. und 20. Jahrhundert), sondern zunehmend auch in den Bildern, die als «Welten» um uns herum erzeugt werden und an deren Entstehung wir selbst zentral beteiligt sind.» (Quelle: Christoph Köck: Bilderfolgen. In: Helge Gerndt u.a. (Hg.): Der Bilderalltag. Münster 2005, S. 207). Trotz dieser medialen Präsenz hängen Menschen noch immer Bilder in ihre Wohnräume und noch immer werden museale Bildergalerien besucht. Welche Funktionen aber übernehmen Bilder heute, und wie werden sie im privaten und im musealen Kontext präsentiert?

In einer breit angelegten Recherche hat das Projektteam bei Personen nachgefragt, die in ihren privaten Räumen Bilder aufhängen. Darüber hinaus wurden Kuratorinnen und Kuratoren verschiedener Ausstellungshäuser eingeladen, sich auf ein «kuratorisches Experiment» einzulassen. Die Versuchsanordnung der Ausstellung ermöglicht es, unterschiedliche Themen zu reflektieren, die sich im Umgang mit Bildern ergeben.

Vom privaten Umgang mit Bildern

Im Hauptraum der Schau hängen in übereinander liegenden Reihen Bilder unterschiedlichsten Formats und Stils: eine Gouache-Skizze von August Herbin ist genauso vertreten wie ein Poster von Michael Jackson, ein Relief von Hugo Suter oder ein vergilbtes Familienfoto aus den 1970er Jahren.

Exemplarisch für eine Bevölkerung zeigen rund fünfzig Aarauer/innen im Alter von neun bis neunzig Jahren ihr privates Lieblingsbild. In Interviews und kurzen schriftlichen Statements schildern sie, welche Bedeutung Bilder für sie haben und von welchen Überlegungen sie sich beim Hängen leiten lassen. Die Anordnung der präsentierten Bilder richtet sich ausschliesslich nach dem Übergabedatum ans Forum Schlossplatz. Mit diesem Hängungskonzept sollen sowohl eine Wertung (Kunst – Alltagsbilder – monetärer Bildwert) als auch eine thematische Interpretation vermieden werden. Durch die «Zufallshängung» kommt es zu überraschenden Korrespondenzen zwischen den einzelnen Bildern und die «neutrale» Szenografie ermöglicht einen freien Umgang in der Rezeption.

Der Umgang mit Bildern im musealen Kontext

Von welchen Überlegungen lassen sich Fachleute im Umgang mit Bildern leiten? Kuratorinnen und Kuratoren wurden eingeladen, für einen Raum innerhalb der Ausstellung ein Konzept zu entwickeln und dieses umzusetzen. Für dieses Experiment standen 66 Werke aus ein und derselben privaten Kunstsammlung zur Verfügung. Der «Kuratorenraum» wird sich alle drei Wochen neu präsentieren. Die vier kuratorischen Konzepte und der individuelle Umgang mit der Sammlung werden auch in Form von Modellen und Texten vorgestellt und dadurch vergleichbar gemacht.

Helen Hirsch, Direktorin des Kunstmuseum Thun, versetzt die Kunstwerke mit einem Biedermeier- und Jugendstil-Mobiliar in ein historisches Setting, das dem bildungsbürgerlichen Interieur des 19. Jh. nachempfunden ist. Mit dieser Inszenierung wird der einstige Wohncharakter des Forum Schlossplatz wiederbelebt. Die Kunstwerke und Alltagsgegenstände des Sammlers verleihen dem Raum zusätzlich die Atmosphäre eines privaten Zimmers.

Fredi Fischli und Gabrielle Schaad, freie Kuratoren Zürich, nähern sich der Sammlung unter dem Aspekt des Archivs und betrachten die Exponate als persönliche Erinnerungsstücke oder historische Fragmente, deren Geschichte sich lediglich fiktiv rekonstruieren lässt.

Stephan Kunz, Kurator am Aargauer Kunsthaus, stellt in seinem Ausstellungsdispositiv die imaginierte Werkbetrachtung der konkreten Anschauung gegenüber. Hierin formuliert er sein kuratorisches Anliegen, zum einen auf die besonderen Eigenschaften der vorgegebenen Sammlung einzugehen und zum andern die Fiktion einer Ausstellung zu verwirklichen, die eigenen Überlegungen folgt. Alexandra Blätter, u.a. Stipendiatin des *Kurator Rapperswil, nimmt die Projektanlage zum Anlass, die kuratorische Arbeit zwischen Büroalltag und Kunst zu thematisieren. Indem sie das Büro der Leitung des Forum Schlossplatz in den Ausstellungsraum transferiert, gibt sie einen Einblick hinter die Kulissen und reflektiert den Prozess des Kuratierens, der entgegen der romantischen Vorstellung, wesentlich von organisatorischen und administrativen Aufgaben geprägt ist.

Das Veranstaltungsprogramm

Das Veranstaltungsprogramm bietet Gelegenheit, sich vertieft mit dem Thema «Bild» im Kontext seiner Funktion und seiner Inszenierung auseinanderzusetzen. Dr. Helge Gerndt, Professor für vergleichende Volkskunde, München referiert über die Frage, welchen Einfluss die Verbildlichung der Lebenswelten auf unsere Wahrnehmung haben kann. Weiter sind Kuratorengespräche und Beiträge der Initiantinnen von «N.N. Projekte», Kristin Bauer und“ Sabina Pfenninger geplant. «N.N. Projekte» interessiert sich für Ausstellungsräume als Orte einer kulturellen Praxis, die das «Publikum» als zentrale Figur des ästhetischen Ereignisses und der Herstellung von Sinn und Bedeutung versteht.

Das Buch zur Ausstellung

Zur Ausstellung erschien die gleichnamige Publikation «Im Bild. Vom Umgang mit Bildern», Forum Schlossplatz, Aarau 2010. SBN 978-3-033-02648-3. 64 Seiten mit Abbildungen; u.a. mit Beiträgen von Klaus Merz, Dr. Charlotte Klonk, Helen Hirsch, Stephan Kunz, Alexandra Blättler, Fredi Fischli und Gabrielle Schaad
Preis: CHF 25.-


Konzept & Realisation: Nadine Schneider, Manuela Casagrande

Szenografie: Rebecca Naldi

Projektteam: Sibylle Greuter, Evelyne Hänggi, Thomas Widmer

Gastkuratoren: Helen Hirsch, Direktorin Kunstmuseum Thun; Fredi Fischli & Gabrielle Schaad, freier Kurator/freie Kuratorin, Zürich; Stephan Kunz, Kurator Aargauer Kunsthaus, Aarau; Alexandra Blättler, u.a. Kuratorin der Stiftung Binz39, Zürich

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