David Meili, 6. Juni 2010, 10:14 Uhr

Apokalyptische Kreaturen, iPad versus NewspaperDirect, und Fussball profitiert vom Sommerloch

Pressespiegel zum Wochenende vom 5./6. Juli 2010
Aus der Tiefsee steigen Kreaturen wie in der Apokalypse. Bild am Sonntag bringt aus dem Golf von Mexiko derart erschreckende Bilder, dass an unserem Lieblingskiosk der Zeitschriftenstapel umgedreht wurde, um den Kund/innen am frühen Sonntag-Morgen nicht den Genuss von Kafi und Gipfeli zu vermiesen.
(Bildnachweis: Bild am Sonntag auf bildonline.de)

Facebook-Freunde ereifern sich seit dem Launch des iPad in der Schweiz über die Zukunft der Bezahltpresse auf dem Internet. Die Diskussion erinnert an Themen vor fünfzehn Jahren, als sich erste Zeitungen mit freien Inhalten auf das Internet wagten. Das neue Medium wurde, z.B. in der NZZ, lächerlich gemacht und dann verteufelt.

Im Magazin zum SonntagsBlick beschränkt sich Frank A. Meyer auf ersteres und vergleicht das unheimliche Ding mit einer Schiefertafel. Auf www.sonntagsblick.ch können Leser/innen (politisch inkorrekt als „Leser“ bezeichnet) unter dem Webcode Espresso mitdiskutieren. Was Ringier damit erreichen will, ist unklar, ausser Zugriffen auf die Website.

Doch im realen Leben gibt es Entwicklungen mit Bezahlt-Inhalten, die unterschätzt werden und offensichtlich profitabel sind. Im Pressezentrum des Hauptbahnhofs Zürich steht ein Selbstbedienungs-Kiosk von NewspaperDirect,dem eine (freundliche) Assistentin Unterstützung leistet. 1 400 Zeitungen, aus 93 Ländern in 44 Sprachen werden on Demand ausgedruckt.

Wir haben den Test mit der renommierten portugiesischen Wochenzeitung Expresso gemacht. Expresso war in der Schweiz kaum erhältlich, wurde verspätet ausgeliefert oder gar nicht in den Zeitungsständer gebracht. Auf dem Internet ist die Zeitung seit Jahren gegen Abonnement verfügbar und ein Must für die weltweit verstreute Community der achtwichtigsten Sprache.

Doch NewspaperDirect bietet einen Mehrwert. Man erhält 48 Seiten auf A3 im originalen Layout, mit originaler Werbung. Die Qualitätszeitung Expresso arbeitet seit Jahren mit einer aufwendigen Kombination von grossen Bildern, Infografiken, und erklärt in der aktuellen Ausgabe vom 5. Juni zum Beispiel den Einsatz von Technologien bei Expeditionen in die Tiefsee.

Die Druckqualität ist selbst für Bilder erstaunlich. Geliefert wird die Basiszeitung ohne Beilagen, die man beim Kauf in Portugal allenfalls  noch an den Strand mitnimmt und dann entsorgt. Nur die Titelseite ist in Farbe und braucht für den Ausdruck etwas länger. Wir warnen vor Suchtgefahr. Den Sidney Morning Herald tagesaktuell vor dem letzten Zug im HB ausdrucken zu lassen und Pressebilder aus Australien im originalen Layout zu sehen, ist mehr wert als ein letztes Bier.

Höhepunkt im magazin zum SonntagsBlick ist eine Reportage von Eitan Haddock/Light Meditation über die Gewinnung von Lithium in den Anden. Hervorragende Bilder mit einem informativen Text, der die Grundlage für weitere, persönliche Recherchen auf dem Internet ermöglicht. Bemerkenswert die Folgerung, dass Lithium-basierte Autos nicht „grün“, sondern letztlich umweltschädlich sind. Die Umweltbilanz des iPad versus NespaperDirect steht uns noch bevor.

Beim SonntagsBlick herrscht People-Alarm, es gibt nämlich keine. So veranstaltet Ringier selbst ein Podium im KKL  zu Wirtschaftsfragen mit Regionalpromis und einem mediengewandten Professor. Einige Seiten weiter findet man die gleichen Leute in den gleichen Kleidern beim  Apero. Der Anlass wird gesellschaftlich auch selbst bewertet, mit vier Smilies für das „Niveau“ und drei für die Kulinarik. Wer vergleichbare Veranstaltungen im KKL erleben durfte, enthält sich, was die Gatronomie betrifft, eines Kommentars.

Sonntag vermittelt uns mit dem Sonntags-Interview im Bund „menschen“ stets ein Lichtbild. Nachdem uns in der Ausgabe der vergangenen Woche die Inszenierung von Miriam Blocher durch Chris Iseli nicht überzeugen konnte, lässt sich das Konterfei von Sabina Schneebeli von Christoph Stulz als gelungen bezeichnen. Die 1963 geborene Schauspielerin kommt wenig  geschminkt und natürlich hinüber. Man mag sie, im Text wie im Bild. Nur, wer hat ihr im Layout den rechten Ellbogen abgeschnitten?

Schwacher Trost für das Team in Baden. An der Werdstrasse haben sie Nouriet Roubini in der Aufnahme von Severenin Nowacki am linken Fuss amputiert. Doch im Hintergrund strahlt das Matterhorn.

Und dann erweitert Sonntag die vor zwei Wochen begonnene, öffentliche  „Markt-Analyse“ auf die NZZ. Albert „Polo“ Stähli äussert sich im Peer-Peer-Dialog mit Patrik Müller ungeschminkt zum Abstossen der ungebliebten Landzeitungen. Es handle sich um Zweit- und Drittzeitungen, die weder werbemässig noch von der Synergie der Produktion her attraktiv seien . Der Schlag unter die Gürtellinie sitzt, vor allem für die Zürichsee-Zeitung und den Zürcher Oberländer. Mit dem Abgang von Gerhard Schwarz bei der NZZ sieht sich Stäheli auch als Förster: „Wenn ein grosser Baum verschwindet, gibt es Licht für Pflanzen.“ Den Bildjournalismus hat der „Sanierer“ längst ausgedünnt.

In FEMINA, der Beilage zu Le Matin de Dimanche, hat Aline Jaccottet in der Romandie den Niqab 48 Stunden selbst gestetst. Es  ist eine etwas abgeschwächte Burka, mit Augenschlitzen. Die Journalistin wurde von der Fotografin Mercedes Riedi diskret begleitet. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, von Beleidigungen über Mitleid bis zur Akzeptanz und freundlicher Bedienung in Restaurants und Geschäften. Der Beitrag ist lesens- und mit den Bildern von Riedi sehenswert, und Jaccottet weist darauf hin, dass unter den 400 000 Mohammedaner/innen in der Schweiz nur etwa 100 (!) von einem Verbot betroffen wären. Um zu Pressebildern der Niqab zu gelangen, muss man, wie ein Tierfotograf, sehr viel Geduld haben, oder eine Figurantin selbst in Szene setzen.

Fakten entblöden die Sonntags-Zeitung nicht, auf Seite 2 der Illi-Familie wiederum eine Pole-Position zuzugestehen (Beitrag Fabian Eberhard). Dass nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Muslim/innen in der Schweiz sich durch den Islamischen Zentralrat der Schweiz (IZRS) vertreten fühlt, interessieren Eberhard und offensichtlich auch  die Chefredaktion nicht. Und Bilder gibt es keine, und dann nur inszenierte (sh. oben).

Nun hofft man auf den Fussball. DAS MAGAZIN porträtiert Ottmar Hitzfeld (Aufnahmen Andri Pol). Die NZZ am Sonntag schenkt uns ein Magazin mit Alex Frei auf dem Titelbild (Aufnahme Maurice Haas). Doch wenn man die Sonntagspresse nochmals kritisch durchgeht: Was folgt nach der WM, der Burka, den Ferien der Bundesräte und wie bewältigen wir das Sommerloch?

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