David Meili, 7. Dezember 2008, 09:16 Uhr

Hoffnungsträger für Qualitätsjournalismus, Amanda Knox und der Samichlaus mit dem Dackel

Pressespiegel vom 6./7. Dezember 2008
Medienereignis der Woche war zweifellos die Lancierung des Splits von DIE ZEIT für die Deutschschweiz. Mit norddeutscher Eleganz und Understatement wurden Konzept und eine erste Nummer im Kaufleuten den Medien und den potenziellen Werbekunden präsentiert. Die Schweizer Ausgabe der „Zeit“ düfte auch für Bildjournalisten zu einem attraktiven Medium werden. (Bildnachweis Michael Latz/ddp/DIE ZEIT).

Die erste Nummer überzeugt nicht nur durch einen Schwerpunkt zur Eigenart und zu den positiven Werten unseres Landes, sondern durch eine sehr sorgfältige, professionelle Gestaltung und Bebilderung. Verfasser sind die beiden nunmehr für die Schweiz zuständigen Redaktoren Peer Teuwsen und Urs Willimann. Siue kennen als Schweizer Deutschland aus eigener beruflicher Erfahrung. Überraschungsgast im ZEIT MAGAZIN ist die in vor Jahren in Ungnade gefallene Edelfeder des damaligen Tages-Anzeiger Magazins, Erwin Koch.

Auch DAS MAGAZIN dürfte sich im kommenden Jahr gut behaupten. Gleichzeitig mit dem Eintritt von DIE ZEIT in den lokalen Werbemarkt wurde unseren Kollegen von PERSÖNLICH.CH und ausgewählten Agenturen ein Redesign vorgestellt, das ab Januar 2009 wirksam wird. Für die Qualitätsfotografie bringt es einen wesentlichen Gewinn. Das neue Konzept setzt auf grossflächige Bilder. Wir freuen uns auf die Ausgabe vom 3./4. Januar 2009. Neben der Nullnummer für das kommende Jahr erscheint die aktuelle Ausgabe von DAS MAGAZIN als Auslaufmodell, auch was den Inhalt betrifft. Die Illustrierung der Gemeinschaftsproduktion mit THE ECONOMIST besteht mehrheitlich aus (teuren) Agenturbildern. Bizarr ist das Porträt des Vorzeigeunternehmers der FDP, Ruedi Noser von Marc Welti, mit dem nahezu dadaistischen Titel „Gesunder Schweizer Menschenverstand“.

Von Qualitätsjournalismus ist in der aktuellen Ausgabe der Weltwoche wenig zu spüren. Die ehemals renommierte Wochenzeitung ist polemisch und langweilig wie kaum zuvor und weist mehrheitlich Symbol- und Agenturbilder auf. Peinlich ist unter anderen Beiträgen das Porträt von Peter Keller über den Kanton Bern mit Eiger, Mönch und Jungfrau von Tobias Madörin als Einstiegsbild. Textlich hat man so etwas  schon einmal in DAS MAGAZIN gelesen, und ein Bildli vom Dreigestirn erhält man auch am Postkartenstand auf der Kleinen Scheidegg, oder als bessere und intellektuellere Fotografie auf dem Titelbild der aktuellen Ausgabe von DIE ZEIT. Das moderne, dynamische Bern wird in Text und Bild von Keller, der auch als Redenschreiber von Ueli Maurer tätig gewesen sein soll, locker und vermutlich aus politischer Absicht ausgeblendet.

Zu ihrem Jubiläum verspricht die Weltwoche eine schrittweise Öffnung ihrer Archive. Nur wurde der grösste Teil der Bestände, darunter auch unzählige Pressebilder bei den Turbulenzen vor einigen Jahren in der Kerichtverbrennung entsorgt. Wer auf die Website www.weltwoche/75Jahre geht (im Print aufgeführt), wird bei allen Zugriffsvarianten mit dem „Fehler 404“ beglückt. Vielleicht muss man Mitglied des „Platin Club“ sein (eine Gold Card genügt nicht), um in der legendären Vergangenheit des  „Intelligenzblatts“ surfen zu können. Als Member kann man das neuste Verlagsprodukt im ePaper downloaden. Es heisst „Luxus Exklusiv“ und entspricht einer verschlankten Version von Z-DIE SCHÖNEN SEITEN, das den Wochenendausgaben der NZZ gratis beiliegt. Doch man glaubt es nicht. Der „Weihnachtskatalog“ der Weltwoche soll am Kiosk für CHF 7.- verkauft werden und belegt einen eigenen Platz im Ständer. Unsere stets freundliche Kioskleiterin kennt bis Sonntagvormittag niemanden, der dieser Versuchung erlag.

Wer einen fotografisch gelungenen Weihnachtskatalog sammeln möchte, soll sich ein Exemplar zum Thema „Schmuckuhren“ der Warenhauskette MANOR sichern. Die Uhren im eher mittleren Preissegment werden auf edlem Leder und Naturstoffen präsentiert. Leider ist im inhouse-produzierten Katalog kein Fotograf erwähnt. Er hätte es verdient.

Zweifellos würde auch Amanda Knox zur Zielgruppe von jenen jungen Frauen zählen, der man eine trendige Schmuckuhr zu Weihnachten schenken möchte. Doch sie wird die Festtage wegen der Verwicklung in den Mord der Mitstudentin Meredith Kercher in einem italienischen Frauengefängnis verbringen. Der Fall bewegt die europäische Tabloid-Presse seit Monaten. Visueller Aufhänger sind Porträts der mittlerweise als „eiskalter Engel“ bezeichneten Amanda.

Die Porträt wären ein faszinierendes Thema für eine medienwissenschaftliche oder medienjuristische Diplomarbeit. Es kursieren  auf dem Bildermarkt irgendwelche Files mit Copyright-Vermerken von unterschiedlichen Agenturen, und zumeist auch ohne. Wer die Aufnahmen wirklich gemacht hat, dürfte kaum mehr zu eruieren sein. Copyrights, die in Metadaten eingearbeitet wurden, erwiesen sich nachträglich als gefälscht. Der Krimi um die Ermordung von Meredith könnte zu einem Krimi über die Verbreitung von Bildrechten ausgeweitet werden.

An dieser Stelle hätten wir Ihnen gerne das Pressebild der Woche vorgestellt, doch Sie müssen sich ein Jahr gedulden. Und das kam so:

Der Samichlaus ist am Freitagnachmittag mit einem Dackel mit Samichlausmänteli über den Parkplatz in K. spaziert. Er hatte soeben die braven Kinderchen im städtischen Kinderhort besucht. „Wenn ich nur eine Kamera bei mir hätte“, sagte ich zum Samichlaus. „Die brauchen Sie nicht, Ihr Kollege hat soeben eine Foto von Fifi und mir gemacht“. Da die lokale Journalistenszene in K. nicht unübersehbar ist, sollte man zu einem Bild unter Kollegen kommen können. Weit gefehlt. Schliesslich glaubte ich an eine Halluzination. Doch dann kam die Erleuchtung. Was bringt das Bild einem meinem Kollegen nach dem Samichlaus-Wochenende? Der spart sich das für auflagenstarke Nummer des Lokalblatts vom 5. Dezember 2009 auf. Wart nur, meine Lieber, für die Ausgabe vom 12. April 2009 räche ich mich mit meinem Osterhasen auf dem Trottinet.

Ein Kommentar zu “Hoffnungsträger für Qualitätsjournalismus, Amanda Knox und der Samichlaus mit dem Dackel”

  1. Lieber dm, vielen herzlichen Dank für deinen Pressespiegel – er hat mir auch diesen Sonntag ein Schmunzeln verpasst. Und ich werde mir wohl Die Zeit besorgen gehen. Amüsant, wie sich die lokale Szene in K. im voraus den Kreativitätsbedarf für 2009 erspart.

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