Vor rund drei Wochen hatte Panasonic mit der Lumix FZ72 die erste Bridge-Kamera mit einem 60fachen Superzoom vorgestellt. Da wir ein Vorserienmodell der Kamera vor wenigen Tagen zum Ausprobieren erhalten hatten, beschlossen wir die Kamera mit ihrem extremen Brennweitenbereich im Praxiseinsatz an der Streetparade 2013 in Zürich zu erproben (s. Test mit Fotos als Diaschau im Artikel).
Kamerahersteller liefern sich längst nicht nur hinsichtlich der grössten Auflösung einen Wettstreit, sondern auch bei anderen Ausstattungsmerkmalen. Beim Bridge-Kameratyp ist der Zoomfaktor das Hauptmerkmal und zugleich Gegenstand des Wettstreits.
Dieser Zoomfaktor ist in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen. Waren vor rund einer Dekade noch Zoomfaktoren von 10x oder 12x bemerkenswert, so kamen in den vergangenen 12 Monaten Bridge-Kameras mit einem bis dato unvergleichlichen Superzoom auf den Markt. Die Canon PowerShot SX50 HS (2012) und Sony Cyber-shot DSC-HX300 (2013) und die in der Schweiz nicht erhältliche Fujifilm FinePix SL1000 können mit einem 50x-Zoom und einer KB-Brennweite von 24-1200mm auftrumpfen. (Daneben gibt es noch etliche Kameramodelle mit ebenfalls sehr starken Zoomfaktoren – wie z.B. von 40x.)
Panasonic hat vor rund drei Wochen noch eins drauf gesetzt und mit der Lumix FZ72 ein 60x-Zoom präsentiert. Wobei für ihren grösseren Zoombereich gegenüber den erwähnten Konkurrenzmodellen von Canon und Sony eine stärkere Weitwinkelbrennweite ausschlaggebend ist.
Die erprobte Panasonic Lumix DMC-FZ72 wurde am 18. Juli 2013 vorgestellt und soll ab September 2013 zum Preis (UVP) von 549 Franken im Handel erhältlich sein.
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FZ72 und 20-1200mm im Einsatz an der Streetparade
Uns hat interessiert, wie sich mit diesem immensen Brennweitenbereich und vor allem mit dem extremen Telebereich in der Praxis fotografieren lässt. Da die Lieferung einer Testkamera (Vorserienmodell) einige Tage vor der Streetparade 2013 in Zürich erfolgte, lag es nahe, gleich einen Praxistest bei dieser Gelegenheit durchzuführen, zumal die Streetparade viele Motive für unterschiedliche Brennweiten bietet. Mit dem extremen Tele können bei diesem Anlasse auch interessant kostümierte oder sich auffällig selbstinszenierende Menschen mit einem Supertele aus der Masse heraus gepickt werden.
Hier eine Diaschau mit Beispielen (ein Link zu einem Web-Album zum Durchblättern von Aufnahmen folgt):
Die Aufnahmen der Diaschau wurden unbearbeitet aus der FZ72 in die Diaschau übernommen, wobei durch Ausschnitte, Bildbearbeitung oder Raw-Entwicklung einiges an Verbesserungspotential besteht. Im Webalbum des Autors können die Aufnahmen Bilder einzeln und nach Mausklick auf ein Thumbnail gross und samt Exif-Aufnahmedaten angesehen werden. (Zum Album mit den Bildern des Praxistests.)
Übrigens alle Aufnahmen inklusive der extremsten Telefotos entstanden aus freier Hand, was die Leistungsfähigkeit der Bildstabilisierung (Optical Image Stabilisation) eindrücklich demonstriert.
Extreme Superzooms
Solche extremen Zoomfaktoren wie 40x, 50x oder jetzt gar 60x kannte man lange nur bei Video-Camcordern. Dass diese Zooms in einer relativ kompakten Bauweise von Objektive und Kamera realisiert werden können, liegt an den verwendeten kleinen Bildsensoren, die mit relativ kurzen Brennweiten grosse Vergrösserungen von Motiven ermöglichen. So beträgt die tatsächliche bzw. physikalische Brennweite der FZ72 effektiv 3,58-215 mm, was dann im Vergleich mit dem Kleinbildformat (KB) einer Brennweite von 20-1200mm beim entspricht. (Übrigens gibt es zur FZ72 noch optional eine aufschraubbare Telekonverter-Vorsatzlinse, um so eine KB-Brennweite von 34-2040 mm zu nutzen.)
Nachfolgend eine Weitwinkel- und drei Teleaufnahmen, die den verfügbaren Zoombereich illustrieren.
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Blick auf die Niederdorf-Seite des Limmatquais mit 20mm-Weitwinkelstellung.
Vom selben Standort aus: drei Aufnahmen mit 1200mm-Telestellung von verschiedenen Bereichen des Limmatquais und des Kirchenturms im Niederdorf.
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FZ72 mit Zoom in beiden Extremstellungen: links in Weitwinkel-, rechts in maximaler Telestellung.
Zum Vergleich: So sieht eine echte 1200mm-Telebrennweite für DSLRs aus. (Canon EF 1:5.6/1200mm L USM, 16.5 Kg schwer und 83,6 cm lang)
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Würde man Wechselobjektive für Kameras mit grossem Sensor (APS-C- oder KB-Vollformat) mit einem vergleichbaren Bildwinkel und Brennweitenbereich (KB: 20-1200mm) bauen, würde dies riesige, schwere Monsterobjektive zu Preisen von mehreren Tausenden Franken ergeben.
Die Kamera
Als Bridge-Kamera stellt die FZ72 ein Mittelding zwischen Kompakt- und Spiegelreflexkamera dar. Sie sieht aus wie eine Spiegelreflex (DSLR), ist nur liegt auch so in der Hand und wird ähnlich bedient. Sie unterscheidet sich aber deutlich durch den elektronischen Sucher (EVF, electronic view finder) und das eingebaute, motorisch verstellbare Superzoom.
Neben der Praxistauglichkeit des extremen Zooms mit seiner besonders starken Telebrennweite beschäftigte uns auch die Frage, wie sich mit einer aktuellen Bridge-Kamera im Vergleich zu einer Spiegelreflex an so einem Anlass fotografieren lässt. Diese eher actionreiche Street Photography, wie man sie ja an Umzügen und Festivitäten wie der Streetparade betreibt, ist eigentlich die Domäne einer Spiegelreflex, die mit ihrer Schnelligkeit bei Scharfstellung und Serienbildern richtig auftrumpfen kann.
Erste Erfahrungen
Die FZ72 ist für eine Bridge-Kamera nicht gerade klein, hat beinahe die Grösse einer kleinen DSLR mit Standardzoom. Die FZ72 ist aber mit rund 600 Gramm leichter als eine DSLR mit Objektiv – und erst recht als eine DSLR mit einem starken Telezoom. Mit einer halbwegs vergleichbaren Brennweite ist jede DSLR viel voluminöser und wegen dem grossen Objektiv deutlich schwerer. Mit der leichten FZ72 Gewicht konnte der Autor dagegen unbelastet umher ziehen. Auch der bei DSLRs oft nötige Objektivwechsel fiel mit der FZ72 natürlich weg, denn sie bietet auch reichlich Weitwinkel.
Generelle Unterschiede zu einer DSLR sind der elektronische Sucher (EVF) und das über einen Schalter beim Auslöseknopf motorisch verstellbare Zoom. Mancher Fotograf rümpft die Nase, wenn sich die Diskussion um EVFs dreht. Doch bei der heute möglichen Qualität und Auflösung von EVFs sind die Nachteile nur noch minimal und unterliegen den vielen Vorteilen. Schade, dass der EVF der FZ72 nicht in dieser oberen Liga spielt. Wegen der für heutige Verhältnis eher mässigen Auflösung von 202’000 Bildpunkten wird die Pixelstruktur im Sucherbild deutlich wahrgenommen und manche Motivdetails gehen im Pixelbild unter. Auch der etwas hohe Kontrast lässt den Fotografen nicht alle Feinheiten erkennen. Das EVF-Sucherbild hat aber eine angenehm hohe Bildrate von 60 fps. Hie und da störten kleine Ruckler des Sucherbilds bei Kamerabewegungen. Diese Kritikpunkte stellten aber keine Beeinträchtigung beim Einsatz dar, obwohl eher der EVF statt des LCDs als Sucher genutzt wurde. Mit der Kamera am Auge lassen sich Motive besser auswählen und verfolgen, insbesondere bei Teleaufnahmen.
Zwischen dem EVF und dem rückseitigen LCD muss umständlich per Taste umgeschaltet werden. Ein Augenkontaktsensor, der erkennt, wenn der Fotograf durch die Kamera blickt bzw. wann nicht und jeweils automatisch zwischen EVF und dem LCD-Monitor umschaltet, sollte heute eigentlich üblich sein. Auch der 7,5cm (3“) grosse LCD bietet eine heutzutage mässige mit 460’000 Bildpunkten und ist leider fest verbaut, was gerade beim Streetparade-Einsatz sich oft vermisst wurde. Ein beweglicher LCD hätte kontrollierte Aufnahme über die Menschenmenge hinweg oder auch aus tiefer Aufnahmeposition ermöglicht. Beim Ausseneinsatz im Sonnenlicht war die LCD-Anzeige übrigens gut zu erkennen, wobei sich die Leuchtkraft bei Bedarf verstärken liesse.
Der Autofokus bietet die drei heute üblichen Modi und arbeitet ordentlich schnell, wenngleich man sich von DSLRs und insbesondere Pro-Modellen mehr Tempo gewohnt ist. Im extremen Telebereich verlangte der Autofokus ein klein wenig Geduld, sorgte aber in den meisten Fällen für scharfe Bilder, trotz all den eher schweren Bedingungen (starkes Tele, bewegte Motive, vor dem Motive vorbei huschende Objekte).
Die Bildstabilisierung, die bei den stärkeren Telebrennweiten unverzichtbar ist, sorgte selbst im extremen Telebereich zuverlässig für scharfe Bilder und mit z.T. relativ langen Verschlusszeiten für den kleinen Bildwinkel. (Alle Bilder des Tests entstanden ja ohne Stativ – selbst solche mit der KB-Brennweite 1200mm.) Natürlich sorgten AF und Stabi nicht in allen Aufnahmen für gestochen scharfe Bilder, doch der Ausschuss an komplett unbrauchbaren, weil unscharfen Bildern, hielt sich in angenehm geringen Grenzen. Nur sehr wenige Bilder waren so verwackelt, dass sich unbrauchbar waren.
Die Objektivbrennweite in Zusammenhang mit dem kleinen Sensor sorgt natürlich tendenziell für eine grosse Schärfentiefe, was für scharfe Schnappschüsse von Vorteil ist. Umgekehrt schränkt die grosse Schärfentiefe die Gestaltung ein, denn bei jedem Motiv ist der Hintergrund fast immer zu scharf und somit zu prägnant zu sehen, selbst in stärksten Telebildern.
Die 16Mpx-Fotos fallen insgesamt auf den ersten Blick scharf aus, wobei bei starker Vergrösserung (Pixelpeeping) auch im Weitwinkel Unschärfen zu sehen sind, die zum Rand zunehmen. Bei den Motiven der Streetparade ist dies wenig störend, für versierte Landschafts- und Architekturfotografen ist die Kamera deshalb weniger geeignet. Da würde auch die Verzeichnung des Objektivs stören. Bei genauer Betrachtung fallen schon bei der Grundempfindlichkeit von ISO 100 ein Rauschen und die kamerainternen Gegenmassnahmen auf, wobei auch Aufnahmen gegen Abend mit hochgeschraubter ISO-Werten von ISO 1600 und 3200 (max. Wert) noch brauchbar waren.
Übrigens die Kamera kann auch Fotos im Raw-Format aufnehmen und bietet damit zumindest theoretisch einen zusätzlichen Optimierungsspielraum. Ausprobieren konnten wir dies noch nicht, denn dem Vorserienmodell lag noch kein Raw-Programm bei. (Panasonic liefert i.d.R. Silkypix Developer Studio von Ichikawa mit.) Aufgrund der noch bevorstehenden Markteinführung kommt momentan auch noch keine andere Software mit den Raw-Dateien der FZ72 klar.
Ein Fazit des ersten Praxiseinsatzes
Die Bildqualität der FZ72 ist recht gut und dürfte für viele Verwendungszwecke und wohl bei den gängigsten Motiven und ausreichend Licht befriedigend bis gute Bilder liefern – auch wenn sie sich nicht mit jener von Kameras mit grösseren Sensoren oder von weniger universellen Objektiven messen kann.
Bei diesem ersten und eher speziellen Einsatz der Lumix FZ72 machte die Kamera eine gute Figur. Sie ermöglichte Aufnahmen, wie sie mit einer DSLR kaum so mobil und mit leichtem Gepäck möglich wären.