David Meili, 26. April 2009, 08:44 Uhr

Pirouetten mit der „Krebsfrau“. Roger und Mirka: Hochzeitsalbum im Magazinformat. Annabelle wird älter und älter.

Pressespiegel zum Wochenende vom 26./27. April 2009
Wir verzichten bewusst auf das  in den Schweizer Medien in dieser Woche am meisten publizierte Bild. Es zeigt das von einer tödlichen Krankheit entstellte Gesicht einer vierzigjährigen Frau, die vor dem Kantonsspital in Münsterlingen aufgefunden wurde. Die Aufnahme wurde von der Kantonspolizei Thurgau gratis zur Publikation zur Verfügung gestellt. Das gab es bis anhin in der Schweiz noch nicht.

Allein die Bezeichnung „Krebsfrau„, die vermutlich nicht aus Polizeikreisen stammt, diffamiert. Weit schwerwiegender ist die Frage, ob wirklich ein öffentliches Interesse an diesem Bild bestand. Die schwerkranke Patientin konnte ihr Einverständnis zur Publikation nicht geben.

Es besteht eine abgesicherte Rechtspraxis, um Fotos von nachweisbar vermissten Personen oder unbekannten Toten nach eingehenden Recherchen zu publizieren. Doch eine Lebende, die vorerst nichts anderes als medizinische Behandlung braucht, gehört nicht auf die Frontpage.

Der Blick drehte rund um das Thema eine Pirouette. Aus dem Skandal „Wer setzt eine Schwerkranke aus“ wurde letztlich eine sentimentale Liebesgeschichte. Doch dann blieb die Recherche stecken. Ob nicht ehemaligen Kundinnen der über viele Jahre am Bodenseeufer tätigen Schwarzangestellten für die Behandlungen zur Kasse gebeten werden könnten, interessiert offensichtlich weder Journalisten noch die Kantonspolizei. Die Karawane zieht weiter. Vielleicht ist die Schweiz einfach zu klein für einen guten, investigativen Journalismus und eine nachhaltige Polizeiarbeit im Interesse von wirtschaftlich Schwachen.

090426_rogerRoger und Mirka Federer verfügen über ein Hochzeitsalbum in Grossauflage. Gemäss der Eigenwerbung von Ringier ist die gut inszenierte Nummer der Schweizer Illustrierten nahezu ausverkauft. Dies bestätigt die Lieblingsverkäuferin an unserem Kiosk in K.  Sie habe erfolglos nachbestellt, weil ältere Damen die Nummer nachträglich noch reservieren wollten. Man mag der arg gebeutelten Schweizer Illustrierten diesen Erfolg gönnen. Die Aufnahmen machten nach unserem Wissen Karl-Heinz Hug und Siggi Bucher. Weitervermarktet werden sie über Dukas. Die sichtbare und massive Postproduction konnten wir nicht eruieren. Man stelle sich einfach vor, wie Managerin Mirka eine arme Seele bis aufs Blut gequält hat, um sich selbst ins beste Licht zu stellen.

Das Magazin zum SonntagsBlick ist sehr gut gelungen. Vorerst findet man eine kompetente Auswahl der hundert besten Restaurants der Schweiz von Beat Wüthrich. Die Aufnahmen der Spitzenköch/innen steuerte offensichtlich Nik Hunger bei, und sie sind sehenswert. Bei der Bildreportage von Jérôme Sessini über Drogenkartelle in Mexiko kommen Zweifel auf, ob die Shootings nicht inszeniert wurden. Die Bilder der tapferen Kämpfer erinnern an eine Trockenübung.

090426_wunderlinFür den Blick am Sonntag dürfte es Sabine Wunderlin im „Puff“ ebenso angewidert haben, wie einigermassen normal veranlagte Leser/innen. Ihre eindrückliche Momentaufnahme über den langweiligen, umsatzschwachen Nachmittag konnte vielleicht nur durch die Augen einer Frau entstehen. Die Reportage wäre für die ewz.selection 2010 preisverdächtig.

Die nicht sehr glücklich in die Kamera schauenden Prostituierten haben offensichtlich Zellulitis, was über Dreissigjährige durchaus haben dürfen. Nun hat sich Annabelle nach einem erfolgreichen Jubiläumsheft in die Alterskategorie der Leserinnen eingefühlt und bringt (Ausgabe 8/09) in einem mehrfachen Cover, unterbrochen durch Kosmetikwerbung, verschiedenen Altersstufen von Meryll Streep. Zu Stande kam die Bildstrecke mit Unterstützung von Brigitte Lacombe, Nivea und vermutlich viel Geld. Ab Seite 52 folgen die typischen Lacombe-Bilder mit Werbung für die beim Verlag Gerhard Steidl erschienene Monographie. Mit Meryl Streep, Brigitte Lacombe, Annabelle und ihren Leserinnen sieht man sich in anderes Jahrhundert zurückversetzt.

Doch bitte keine Mode tragen wie im Beitrag von Cati Soldani und Anka Badeleben (Fotografie). Mode, Texterei und Bilder, – wer schaut sich sowas  an, ausser einem Kritiker, der über das Cover schreiben wollte und zufällig nach hinten geblättert hat. Mode für Torremolinos?

Nun hat auch der Tages-Anzeiger Play entdeckt (Samstag, 25. April, Seite 24). Und Play hat sich selbst geoutet, sogar mit einem eher schrägen Porträt. Das Interview spart nicht mit Selbstüberschätzung. Vielleicht ist vieles einfach Ironie, wie die Sondernummer von RonOrp über Zürcher Strassenmode. Die pdf-Zeitung ist ein interessantes ethnographisches Dokument für „bad taste“ in den Zürcher „Trendquartieren“. Bei RonOrp selbst fragt man sich ironisch, wer sich eine Pferdedecke um den Hals hängt, – und sich damit auch noch fotografieren lässt.

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