Urs Tillmanns, 11. Juni 2022, 09:30 Uhr

Das neue Gotthard Museum feiert am Sonntag Tag der offenen Tür

Nach einer zweijährigen Bauzeit präsentiert sich das «Museo Nazionale del San Gottardo» mit der heutigen Eröffnung mit einer informativen Dauerausstellung samt multimedialer Gotthard-Show, einem Infopoint über alle Attraktionen auf den Gotthard-Hospiz und neuen Gastronomieangeboten.

 

Was einst als «Sust», als öffentliches Rast- und Lagerhaus diente, ist heute das Gotthard-Museum. Es erzählt die Geschichte, wie während Jahrhunderten der Verkehr von Norden nach Süden verlief – über und durch den Gotthard

Der Gotthard hat eine spannende Geschichte und ist ein nationaler Mythos der Urschweiz. Er spielte von jeher eine wichtige Rolle für den Handelsverkehr von Norden nach Süden ebenso wie in der Gegenrichtung, war von grosser strategischer Bedeutung für die militärische Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg und ist auch heute noch existenziell für den Wirtschaftsraum der Täler beidseits des Gotthards. Diese jahrhundertealte Geschichte wird nun neu im Museo Nazionale del San Gottardo erzählt – mit seltenen und epochemachenden Exponaten ebenso, wie mit einzigartigen Fotografien und Filmen. Das Museum zeigt uns, wie der technische Fortschritt und die beeindruckende Ingenieurskunst die Über- und Durchquerung der Alpen immer kürzer werden liess – von 15 Stunden, welche die Postkutsche anfangs der 19. Jahrhunderts brauchte, um vom Urnerland ins Tessin zu kommen, bis zu den 17 Minuten, in denen heute die Bahn durch den Basistunnel von Erstfeld nach Biasca rast.

 

Im Dachgeschoss des neuen Museums wird nicht nur die 20minätige Multimedia-Show zur Geschichte des Gotthard gezeigt, sondern der Raum mit dem beeindruckenden Gebälk kann auch für Anlässe mitsamt der Gastronomie gemietet werden.

Das neue Museum auf dem Gotthard-Hospiz ist eine Kooperation mit den Alpinen Museum in Bern, was noch viele spannende Synergien zwischen Bern und dem Gotthardpass verspricht. Die Partnerschaft sieht vor, dass die Ausstellungen auf dem Gotthard in Kooperation mit regionalen Partnern auf Urner und Tessiner Seite entstehen sollen. Das Alpine Museum der Schweiz kommt damit seinem nationalen Auftrag als Netzwerk des Bundes für das alpine Kulturerbe nach. Gleichzeitig verspricht sich das Museo Nazionale del San Gottardo von der Partnerschaft attraktive Sonderausstellungen, die dem Museum ein wiederkehrendes Publikum bescheren.

 

Ein Rundgang durch das neue Gotthard-Museum

Keine Passage in den Alpen hat so viele Löcher wie der Gotthard, kein an-derer Alpenübergang ist für die Schweizer Bevölkerung so identitätsstiftend. Die Faszination für diese Region an der Wetter-, Wasser- und Kulturscheide zwischen Nord und Süd hat viele Gründe. Allen voran das Erlebnis der Passlandschaft und der vielen im Laufe der Zeit entstandenen Tunnel, Kavernen und Felsenfestungen. Hier ein kleiner Einblick in die spannende Bildergeschichte.

 

Raum 1: Das Urnerloch

Der Gotthardpass wird seit über 2000 Jahren begangen. Doch erst mit dem Bau der «Teufelsbrücke» und der «Twärrenbrücke» in der Schöllenenschlucht um 1200 wird der Weg durchgängig begehbar. Waren und Personen kommen mit dem Schiff von Luzern und werden ab Flüelen mit Saumtieren über den Pass getragen. Ab 1702 macht ein 64 Meter langer Tunnel durch den Felsen eine der gefährlichsten Passagen sicherer: das Urnerloch. Bis zum Ausbau der Fahrstrasse 1830 bleibt die Strecke über den Pass vor allem eine regionale Verbindung mit Saumtieren. Erst ab 1842 verkehrt die Gotthardpostkutsche täglich über die Passstrasse.

 

Raum 2: Der Eisenbahntunnel

Am 22. Mai 1882 wird der Gotthard-Eisenbahntunnel feierlich in Betrieb genommen – der damals längste Tunnel der Welt. Das technische Meisterwerk ist in zehn entbehrungsreichen Jahren mit internationalem Kapital, fortschrittlichster Technologie und dem Einsatz italienischer Arbeitskräfte entstanden. Neben der Brenner ist die Gotthardroute nun die wichtigste europäische Transitachse zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien. Der Gotthard wird zu einem wichtigen nationalen Mythos der Schweiz.

 

Raum 3: Die Militärfestungen

Der Gotthard spielt bis in die Neuzeit militärisch kaum eine Rolle. Erst der Eisenbahntunnel macht ihn zu einer wichtigen internationalen Transitroute, die von der Armee geschützt werden muss. Ab 1889 sichert das Forte Airolo die Südseite des Passes. Im Zweiten Weltkrieg werden rund um den Gotthard eine grosse Anzahl weiterer Festungsanlagen gebaut. Der Gotthard wird dadurch zum Zentrum des «Réduit national», des Verteidigungskonzepts in den Schweizer Alpen. Viele der Festungsanlagen verlieren nach dem Ende des Kalten Kriegs ihre militärische Bedeutung. Sie werden heute für andere Zwecke genutzt.

 

Raum 4: Die Kraftwerke

Die prekäre Versorgungslage im Ersten Weltkrieg zeigt, wie stark die Schweiz von ausländischer Kohle abhängig ist. Deshalb beschliesst man, künftig mit Wasserkraft Strom zu produzieren und das Schienennetz zu elektrifizieren. In den Alpen werden entlang der Bahnlinien Kraftwerke geplant: Die Gotthardbahn baut nach 1920 die Werke Ritom und Amsteg. Durch Felsstollen wird das Wasser aus der Gotthardregion zusammengeführt und optimal genutzt. Die späteren Kraftwerkserweiterungen werden aus Platzgründen meist in Felskavernen gebaut.

 

Raum 5: Der Strassentunnel

Die 1865 eröffnete Axenstrasse erschliesst den Weg über die Gotthard-Route für Fahrzeuge. Mit dem Ausbau der Passstrasse nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt der Verkehr immer mehr zu, und es kommt regelmässig zu langen Staus. Die Politik fordert einen Autobahntunnel. Dieser wird nach zehnjähriger Bauzeit am 5. September 1980 eingeweiht. Doch bald stauen sich vor den Tunnelportalen die Autos erneut, weil die bequeme Alpenpassage mehr Verkehr anzieht als erwartet. Mit der Annahme der «Alpeninitiative» beschliesst das Stimmvolk, dass der Grossteil des Güterverkehrs auf die Schiene verlagert werden soll.

 

Raum 6: Der Basistunnel

Berge sind seit jeher Hindernisse für den europäischen Eisenbahnverkehr. Die schnellste Möglichkeit, sie zu überwinden, sind Basistunnel. Auf diese Weise können Züge als Flachbahn unter dem Berg durchfahren – ohne Steigung, Rampen und Viadukte. Seit den 1960er-Jahren wird diese Idee in der Schweiz diskutiert. 1992 sagt die Bevölkerung Ja zur Neuen Eisenbahn Alpentransversale (NEAT). 1999 beginnen die Arbeiten am Gotthard- Basistunnel, 2020 wird der Ceneri-Basistunnel in Betrieb genommen. Seither ist die Flachbahn zwischen Basel und Mailand Realität. 

In jedem Ausstellungsraum veranschaulicht ein kleiner Sandhaufen vergleichend die Menge Gestein, die für das jeweilige Projekt aus dem Gotthardmassiv ausgebrochen wurde.

 

Raum 7: Der Übergang

Der Gotthard ist eine wichtige Verkehrsachse. Um schneller ans Ziel zu kommen, wird diese Strecke in den letzten 150 Jahren mit immer mehr und längeren Tunneln ausgebaut. Das Massiv aus Granit und Gneis ist aber auch eine geschichtsträchtige Kultur- und Naturlandschaft in der Mitte Europas. Die Fahrt durch den Tunnel ist schnell, aber eher eintönig. Im Gegensatz dazu ist die Fahrt über den Pass ein Erlebnis der Entschleunigung. Mit dem Gotthard verbinden sich kulturgeschichtliche Episoden, aber auch viele persönliche Geschichten rund um dieses einzigartige Grenzgebiet zwischen Nord und Süd.

 

Sonderschau «Der Sonntagsausflug» – ein Kinoerlebnis

Die Sonderausstellung des Alpinen Museums der Schweiz im Museo Nazionale del San Gottardo kommt fast ohne Texte aus und wärmt das Herz mit Amateurfilmbildern aus dem Kanton Tessin. Das Auto gehört zur Freizeitgesellschaft des 20. Jahrhunderts wie die Tremola zum Gotthardpass. Erst können sich nur einige «Herrenfahrer» die selbstfahrenden Kutschen leisten. Mit den industriell gefertigten Kleinwagen wird das Auto jedoch demokratischer und nach und nach ein Massenphänomen. Es verändert das Freizeitverhalten der Nachkriegsgeneration nachhaltig. Das Auto schafft individuelle Freiheiten, neue Erlebnisse und einen ungestillten Hunger nach Mobilität. Der Gotthardpass ist bestes Beispiel und Schauplatz dieser Entwicklung. Noch heute passieren rund 600‘000 Personen pro Saison (von Juni bis Oktober) den Gotthardpass. Eine Mehrheit macht dies auf vier Rädern.

Am Sonntag, 12. Juni 2022 ist Tag der offenen Tür.

Die Bevölkerung hat erstmals morgen, Sonntag, 12. Juni, Gelegenheit, das Museum zu entdecken. Am Tag der offenen Tür ist der Eintritt gratis. Das Museum ist danach bis Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

Aktuelle Informationen zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen, Führungen und Veranstaltungen finden Sie auf der Website www.passosangottardo.ch

Text und Situationsbilder: Urs Tillmanns

 

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