Jost J. Marchesi, 28. Juli 2021, 16:00 Uhr

Das seltsame Passbild-Verständnis

Die IDs meiner Kinder sind nach einer Laufzeit von fünf Jahren abgelaufen. Also bemühte ich mich heute mit den Kindern zu einem Gang auf die Gemeindekanzlei einer Landgemeinde im Kanton Zürich, in der Tasche die neuesten, ernsten, zahnlosen Porträtaufnahmen im Formal 35 x 45 mm mit sämtlichen Vorgaben, die da sind: Oberer Rand bis zum Scheitel min. 5 mm, Augenabstand min. 8 mm, Kopfgrösse von Kinn bis Scheitel (ohne Frisur) 32 bis 34 mm. Kein Mensch weiss, wieso oben ein Rand von 5 mm verlangt wird, der dazu führt, dass die Person fast unten aus dem Rahmen fällt. Aber gut, Identifikationsaufnahmen gehorchen anderen Kriterien.

Die Dame am Schalter legte die Original-Passbilder – welche ich in einer Auflösung von 360 dpi auf einem 9-Farben-Fine-Art-Drucker mit 2840 ppi geprintet hatte, auf die Scheibe des Multifunktional-Druckers und erstellte ein Formular, auf welchem eine Schwarzweiss-Kopie in der bei diesem Verfahren üblichen schlechtesten Qualität der Passfoto erschien.

Und jetzt kommts: Die nette Dame erklärte mir (immerhin einem eidg. dipl. Fotografen mit zusätzlich noch einer Schuhschachtel voll höherer und weniger hohen Diplomen sowie Abschluss- und Arbeitsbestätigungen) die Qualität der Passbilder genüge nicht, sie seien verpixelt …

Das tut weh! Wer sagt so etwas wem?

Gaaaaanz langsam durchatmen, ja nicht expodieren. Nochmals langsam durchatmen …

Die tausende Passbilder, welche ich seit dem ersten Tag meiner Fotolehre bis heute gemacht habe, zählen nicht. Ich muss mich von einer völlig berufsfremden Person auf der Gemeindekanzlei und offenbar von einem ebenso berufsfremden, bildbeurteilenden Beamten des Passbüros der Unfähigkeit bezeichnen lassen … Nochmals: Das tut weh!

Wir einigten uns, sie solle die Bilder trotzdem verwenden und das Passbüro entscheiden lassen, ob die Bildqualität tatsächlich nicht genüge. Dabei hatte ich geglaubt, das Formular würde zusammen mit dem Original-Passfoto zur Herstellung an das Passbüro geschickt. Das wurde es auch. Aber offenbar sofort auf elektronischem Weg mit dem auf einem Bürokopierer gescannten Bild. Postwendend kam die Meldung vom Passbüro: die Bildqualität sei nicht ausreichend.

Bei den letzten, nun abgelaufenen IDs vor fünf Jahren habe ich die Passbilder in haargenau derselben Art und Weise erstellt und geliefert. Natürlich war das völlig problemlos. Damals hatte man die Daten samt Originalbild per Post ans Passbüro geliefert, welches die IDs durch eine spezialisierte Firma herstellen liess.

In der Zwischenzeit hat man elektronisiert und automatisiert ohne davon wirklich etwas zu verstehen, wie die nun offensichtlich vorhandenen Systemfehler es zeigen. Wenn man den Scan des Identifikationsbildes nun dem Personal einer Gemeindekanzlei überlässt und diese statt eines hochqualitativen Scanners einen Multifunktional-Drucker einsetzen, wäre es ja wohl angezeigt, die Original-Passbildgrösse nicht mehr auf das kleine Format 35 x 45 mm festzulegen. Das vor Urzeiten festgelegte Format war damals richtig, weil man das gelieferte Originalbild in den Ausweis einklebte. Seit man dies jedoch elektronisch macht, wäre die Vorgabe eines grösseren Bildformates, das einfach und qualitativ besser zu scannen ist, angebrachter.

Nun habe ich also die beiden Passbilder elektronisch der Gemeindekanzlei mittels E-Mail zugeschickt. Als JPG, in der verlangten Grösse von 35 x 45 mm und mit 360 dpi – rund 1,6 MB. Jetzt warte ich gespannt, ob es so funktioniert. Format und Bildgrösse sind korrekt. Aber auf dem Bildschirm der Gemeindekanzlei erscheinen die Bilder infolge der geringen Bildschirmauflösung jetzt etwa so gross wie ein A4-Blatt. Ob da vielleicht jemand meint, jetzt seien die Bilder zu gross, denn sie müssen ja nur 35 x 45 mm gross sein …?

Nun habe ich jedoch Bericht erhalten, die Bilder seien gottseidank akzeptiert worden und die IDs somit in Produktion. HEUREKA!

Weit haben wir es gebracht. Obwohl ich ein absoluter Verfechter von digitalen Systemen bin, muss ich eingestehen, die Digitalisierung führt vermehrt zu seltsamen Systemfehlern wenn Automatisierungen und Bildditalisierungen von IT-Menschen implementiert werden, die höchstens per Zufall genügend fotografisches KnowHow am Hut haben.

Vor mir liegen zwei Passbilder. Eines von meinem Vater aus dem Jahr 1964 und ein neues – dasjenige von mir. Das Passbild im alten Pass meines Vaters zeigt ein hervorragendes Brustbild, perfekt beleuchtet, schön geprintet und es enthält alle notwendigen Identifikationsmerkmale. Daneben mein neuer Pass, für den ich von einer fest eingerichteten Hellmachungsanlage mit einer schlecht auflösenden Kamera auf mehr oder weniger zufälligen Knopfdruck abgelichtet wurde. Die Unterschiede sind frappant: Hier ein wirklich schönes, scharfes, hochaufgelöstes Porträt bei meinem Vater und da ein schreckliches, schlechtaufgelöstes und miserabel beleuchtetes Verbrecherbild!

Um sich nicht unnötig aufregen zu müssen, rate ich allen (insbesondere wenn sie dem Berufsstand Fotografie angehören) Ausweise im kantonalen Passbüro herstellen zu lassen, selbst dann, wenn man eigentlich nur eine ID und keinen Pass benötigt. Denn dann muss man sich nur über die schrecklichen Verbrecherbilder aufregen und nicht noch über das Pseudowissen von Bürolisten und Beamten und deren etablierte Systemfehler …

© by Jost J. Marchesi

Weitere Informationen zu den Anforderungen von Passbildern finden Sie als pdf bei Fedpol (Fotomustertafel)

 

 

13 Kommentare zu “Das seltsame Passbild-Verständnis”

  1. Eine vortreffliche Beschreibung digitaler Abläufe auf einem Amt. Ich bin gottfroh, dass ich mich vor 5 Jahren entschieden habe, mich nicht mehr zu ärgern. Das ist letztlich das einzige zuträgliche Hilfsmittel, wenn man täglich soviel fehlendem Wissen begegnet.

  2. Werter Herr Marchesi
    Vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich mache täglich Passbilder und hatte bis jetzt keine Probleme.
    Vermutlich liegt es an Ihre Gemeinde. Diese sollte sich auf den neusten Stand der Technik aufrüsten und das Personal besser schulen.

    Um schöne biometrische Passbilder zu erhalten würde ich eher anraten zum Profi zu gehen als auf das Passbüro.
    Dann erhalten Sie auch kein grimmsches Verbrecherfoto. =)

    1. Hallo Herr Pfleumer

      Sollten Sie so fotografieren wie sie sich sprachlich äussern, dann frage ich mich, wie denn Ihre Passbilder (also nicht vom Fachmann?) akzeptiert werden. Ich habe für viele Kunden professionelle biometrische Passbilder angefertigt. Auch ich hatte keine Probleme, aber einen Jost J. Marchesi fotografisch anzuzweifeln finde ich schon ziemlich blauäugig und dreist. Ich kenne seine professionellen Arbeit, auch aus Primärliteratur!

  3. Sehr schön geschrieben.
    Ich habe herzlich gelacht und mitgefühlt.
    Der EDV-Schimmel reitet 😉
    Ich war mal an der Grenze von Kanada zu Alaska und musste dort ähnliche Fotos machen lassen.
    Die haben sich dort weggelacht.
    „Können sie nicht lächeln?“
    „Sind sie immer so ernst?“
    „Nein, ehrlich, sie müssen in Europa so schauen? You kidding me.“
    Das war Slapstick pur.

  4. Geschmunzelt, was für ein Erlebnis. Aber: Wieso wird das Mitbringen eines gedrucktes Bildes heute überhaupt noch verlangt, welches danach gescannt werden muss? Ein Bild für einen Ausweis sollte heute doch gar nie mehr einen Umweg über Papier machen. Email, Upload oder auch ein USB-Stick (diesen kann man auch zum kantonalen Passbüro mitbringen) ist für die meisten einfacher und vermeidet die technische Fehlerquelle. Allerdings hat auch der mitgebrachte USB-Stick seine Tücken – keine Ahnung, wie sie es schafften die (perfekten Studio-) Bilder von mir und meiner Frau derart unterschiedlich zu „korrigieren“…

  5. Lieber Herr Marchesi

    Sie haben mit ihrem Bericht wohl hunderten von Fotografen aus der Seele gesprochen und in ein Wespennest gestochen.
    Was da in den Behördenbüros abgeht, spottet schlicht jeder Beschreibung. Im Kanton Zug ist es sogar so, dass Fotografen die Bilder faktisch gar nicht mehr machen dürfen, d. h. sie werden gar nicht angenommen und zwar mit der selben lächerlichen Qualitätsbegündung. Aber natürlich muss die millionenteure Anlage im Zuger Passbüro ja ausgelastet werden. Zudem bezahlt der Kunde gleich viel beim Passbüro, ob er nun die Bilder selber bringt (falls überhaupt akzeptiert) oder sie dort machen lässt. Mein persönliches Erlebnis mit meinem eigenen Pass wäre auch noch eine Geschichte wert, aber dafür ist dieses Feld zu klein…

  6. Seit der Möglichkeit einer einfachen digitalen Bilderfassung verstehe ich nicht, warum es noch ausgedruckte Passbilder benötigt. Alle 7 Jahre muss ich meinen namibischen Führerschein erneuern – und benötige dazu kein ausgedrucktes Passbild.
    Was macht Namibia so fortschrittlich? Über dem Schalter im Amt ist eine Digitalkamera installiert, die auf einen Stuhl vor dem Schalter ausgerichtet ist. Für ein Passfoto auf dem Stuhl Platz nehmen, den Anweisungen des Personals folgen und innert 1 Minute darf man am Bildschirm das schönste Bild auswählen. Die Daten gehen dann direkt mit den digital erfassten Daten zur Druckerei nach Südafrika. So einfach kann das Thema Lichtbild für Ausweise erledigt werden.

  7. Lieber Jost
    Zügle zu uns—-da darfst du als Fotograf für ID gar keine Fotos mehr machen—Fall gelöst
    Ganz herzlich
    Pesche

  8. In Basel-Stadt rsp der Stadt werden die Bilder so wie hier gezeigt flach im Kontrast hergestellt. Mitgebrachte vermutlich gar nicht mehr akzeptiert. Vermutlich sollen so Probleme beim Kopieren verhindert werden.

  9. Ein klarer Fall von Medienbruch. Etwas, das im Zeitalter der „Digitalen Transformation“ (ich hasse diesen Ausdruck) immer noch zu häufig vorkommt. Natürlich hält der/die zuständige Beamte/Beamtin den Prozess (auch diesen Ausdruck hasse ich abgründigst) ein. Was rauskommt ist Schrott. Warum? der Arbeitsablauf (ich sage extra nicht Prozess) wurde nicht überdacht/überarbeitet. Für jemanden der ein Handwerk erlernt hat undenkbar.

    Dessen ungeachtet schönes Wochende!

  10. das geht ja noch!
    man muss noch wissen, das die regeln von kanton zu kanton verschieden sind.
    hier in bern muss man das foto für die id zwangsläufig im passbüro machen lassen. oft gibt es dort probleme mit spiegelnden brillengläsern, kein wunder bei fix montierter beleuchtung.
    ein paar km von meinem fotostudio ist der kanton solothurn. hier oder im wallis kann man das foto für die id nach wie vor selber zur gemeindeverwaltung bringen.
    dann gibts noch die vorschriften in den verschiedenen ländern.
    mittlerweile habe ich für ca. 40 länder die passende schablone erstellt. manche länder haben sogar mehrere formate, das personal schneidet es dann passend zu!
    ich bleibe dran

  11. Hier in Deutschland ist das ähnlich. Der Profi macht ein ordentliches Bild mit einer guten Kamera. Das wird dann winzig ausgedruckt. Im Amt wird es in ein Formular eingeklebt. Das Formular wird nach Berlin geschickt, dort gescannt und auf dem Personalausweis ist dann ein Bild minderer Qualität.
    Erste Erklärung auf dem Amt: Wir haben nicht die nötige Technik, um eine Bilddatei zu verarbeiten.
    Zweite Erklärung auf dem Amt: Anhand des gedruckten Bildes muss kontrolliert werden, ob das Bild bearbeitet wurde.
    Für den Führerschein ein ähnlicher Ablauf, nur bei einem anderen Amt in 30 km Entfernung (persönliches Erscheinen ist nötig). Das Bild ist auf der Fahrerlaubnis dann nur noch schwarz-weiß und 20 mm x 25 mm groß

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