Fotografie und Film sind seit Beginn ihres Entstehens im 19. Jahrhundert farbige Medien und bunte Kunstformen, auch wenn dies beim breiten Publikum wenig bekannt ist und in kunsthistorischen und wissenschaftlichen Debatten häufig übersehen wird. Frühe Fotografien, wie beispielsweise Daguerreotypien, wurden bereits ab 1839 koloriert, Cyanotypien erhielten in den 1840er-Jahre durch chemische Reaktionen des Edeldruckverfahrens ihre typisch blaue Farbe und Filme in den 1890er-Jahren, wie die Tanzfilme Lo.le Fullers, waren bereits handkolorierte Spektakel.
Color Mania im Fotomuseum Winterthur zeigt die Geschichte der Farbe in Fotografie und Film mit repräsentativen Bildbeispielen auf. (Foto: Urs Tillmanns)
Seitdem hat sich viel getan, denn im Laufe ihrer Geschichte brachten Fotografie und Film mehrere hundert Farbverfahren hervor und beeinflussten sich dabei häufig gegenseitig. Einige der Techniken – wie die Autochrome der Brüder Lumiere – wurden zunächst im Rahmen der Fotografie entwickelt, bevor sie auch im Film Anwendung fanden. Andere wie das Farbfilmverfahren Gasparcolor, wurden zunächst in der Filmproduktion genutzt und bahnten sich später – in diesem Falle als Cibachrome der Schweizer Firma Ciba – ihren Weg in die Fotografie.
Color Mania betrachtet diese Verflechtungen und Austauschprozesse zwischen Fotografie und Film, beleuchtet die materielle Dimension der Foto- und Filmfarben und rückt deren faszinierenden Reichtum in den Fokus. Durch verschiedene Exponate originaler Materialien und Bäder diverser Farbprozesse gibt die Ausstellung eine Einführung in die Geschichte der Farbfotografie und des Farbfilms und schafft für die Besucher innen zudem ein ästhetisches Erlebnis. Ausstellungsstücke wie Autochrome, Technicolor-Originale, handkolorierte Glasdias und viragierte Filmstreifen von Polarexpeditionen, die dem Publikum weithin als fragile Archivalien verborgen bleiben, besitzen eine ganz eigene faszinierende Materialästhetik.
Der Film wird farbig (v.l.n.r): Claude Friese-Grene «The Open Road» England ca 1925. National Science and Media Museum, Bradford; Med Roald Amundsens Nordpolsekspedition Til Første Vinterkvarter, 1923. Stiftung Deutssche Kinemathek, Berlin; Kurt Maetzig «Der schweigende Sterrn» 1960, © DEFA Stiftung Waltraut Pathemnheimer / Deutsches Filmarchiv; McCall Colour Fashion News (IUSA) 1927. George Eastman House, Rochesrer N.Y.
Doch Color Mania ist nicht bloss eine Ausstellung historischer Farbfotografie- und Farbfilmexponate. Denn die historischen Verfahren treten in Dialog mit Kunstwerken zeitgenössischer Kunstschaffender, die zeigen, wie diese Farbprozesse heute Anwendung finden und wie technische und kulturtheoretische Aspekte des Materials Farbe in der aktuellen Fotografie und erweiterten Kunstlandschaft reflektiert werden. So erweitern die Arbeiten von Dunja Evers, Raphael Hefti, Barbara Kasten und Alexandra Navratil ausgewählte Aspekte, die in der Ausstellung mittels historischer Exponate thematisiert werden. Das Historische verbindet sich hier mit einer experimentellen und reflexiven Annäherung aus der Gegenwart.
Dunja Evers «Landschaft (Industrie) Nr. 7», 2000 © Dunja Evers (Sammlung Fotomuseum Winterthur)
Die deutsche Künstlerin Dunja Evers (*1963) setzt sich in ihren Werkgruppen Portraits und Landschaften mit der Verschmelzung der Medien Fotografie, Film und Malerei auseinander und stellt dabei Farbe und die Techniken der Virage und Handkolorierung in den Mittelpunkt. Das Ergebnis sind monochrome Bilder, nass in nass mit Eiweisslasur bestrichen und auf dünnem Aluminium aufgezogen, aus deren Farbflächen sich, auf den zweiten Blick, filmisch und fotografisch anmutende Szenen herausschälen.
Raphael Hefti aus der Serie «Lycopodium», 2014, © Raphael Hefti
Das Experiment und der Zufall sind zentrale Momente im Werk des Schweizer Künstlers Raphael Hefti (*1978), der tradierte fotografische Verfahren und chemische Werkstoffe auf ihre Materialeigenschaften und ästhetische Potenziale hin untersucht. in der Serie Lycopodium greift er das Fotogramm als frühe fotografische Praxis auf, erweitert es durch das Hinzufügen der Moosart Lycopodium clavatum, die für pyrotechnische Effekte genutzt wird, und erzeugt durch eine Kettenreaktion des leicht entflammbaren Mooses bunte Farbeffekte auf der fotosensiblen Schicht.
Barbara Kasten «Architectural Site 17», High Museum of Art, Atlanta GA, 29. August 1988, © Barbara Kasten / Kadel Wilborn, Düsseldorf
Ab den 1980er Jahren konstruierte die amerikanische Künstlerin Barbara Kasten (*1936) aus farbigem Plexiglas, Spiegeln, Metall und geometrischen Formen mehrschichtige Installationen, die sie aus verschiedenen Blickwinkeln belichtete und abfotografierte. Die Inszenierungen, welche zunächst in ihrem Studio produziert wurden, übertrug Kasten in den urbanen Raum. Eine Auswahl der daraus entstandenen Fotoserie Architectural Sites wird im Rahmen von Color Mania gezeigt.
Alexandra Navratil «All That Slides, Strikes, Rises and Falls», 2015. © Alexandra Navratil / Dan Gunn Gallery, London. Foto: Installationsansicht BlteLang, Zürich, © Alexandra Hana
Die Schweizer Künstlerin Alexandra Navratil (*1978) betreibt mit ihren Werken künstlerische Forschungsprojekte zur Mediengeschichte und Materialität von Fotografie und Film, mit einem speziellen Blick auf Farbe und Kolorierungstechniken. So erforscht sie mit All That Slides, Strikes, Rises and Falls neben der Verflechtung der Film – zur Textilindustrie auch den Prozess der Virage, und widmet ihre neueste Arbeit Split/Hatch/Mutate/Double, eine 16mm-Doppelprojektion speziell für Color Mania entstanden, dem frühen Filmfarbverfahren der Schablonenkolorierung.
In der Ausstellung Color Mania ist über zwei Räume ein Zeitstrahl zu sehen, der die Entwicklung und die wichtigsten Verfahren der Farbfotografie und der Farbfilmverfahren erklärt
Color Mania, eine Kunst- und Wissensausstellung, bietet eine ästhetische Erfahrung, die verschiedene Lesarten und Zugänge zulässt die sich im Ausstellungsraum überkreuzen und verbinden. Mehr noch als eine rein chronologische Entwicklungsgeschichte der Farbverfahren, die sich über die historischen Exponate sowie in Form eines systematisch aufgearbeiteten Zeitstrahls abbildet, ermöglichen die zeitgenössischen Werke auch den Einstieg aus heutiger Sicht- mit der Einladung, im Rückwärtslauf beziehungsweise in Rückblende zu historischen Elementen zurückzukehren. Zudem wurde eine App entwickelt, die den Besucher innen Zugang zu weiterführenden Informationen zu den unterschiedIichen Farbfilmverfahren ermöglicht.
Die Ausstellung wird kuratiert von Nadine Wietlisbach und Gastkuratorin Dr. Eva Hielscher und wurde entwickelt in Kooperation mit Prof. Dr. Barbara Flückigers Forschungsprojekten ERC Advanced Grant FilmColors. Bridging the Gap between Technology and Aesthetics und SNF Filmfarben. Technologien, Kulturen, Institutionen der Universität Zürich und mit Unterstützung des SNF als Agora-Projekt.
(Pressetext und -fotos: Fotomuseum Winterthur)
Die Ausstellung ist noch bis 24. November 2019 zu sehen im
Fotomuseum Winterthur
Grüzenstrasse 44+45
CH-8400 Winterthur
Tel. 052 234 10 60
Rahmenveranstaltungen
Filmkolorierungs-Workshop mit Dr. Ulrich Rüde, Professor für Konservierung und Restaurierung moderner Medien (HTW Berlin)
Samstag, 28.09.2019, 14:00-18:00
Sonntag, 29.09.2019, 10:00-14:00
Memoriav Kolloquium «Farbecht»
Mittwoch und Donnerstag, 23. und 24.10.2019
«Gone with the Wind»,
Filmvorführung im Kino Cameo Winterthur
Freitag, 25.10.2019, 18:00
Kurzfilmprogramm «Color Moods»
an den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur
Donnerstag bis Sonntag, 07.-10.11.2019
Sonderführung mit Dr. Barbara Flückiger.
Professorin für Filmwissenschaft (Universität Zürich), und Buchpräsentation Color Mania
Samstag, 09.11.2019, 14:00
Das Buch zur Ausstellung wird voraussichtlich Ende November 2019 im Verlag Lars Müller Publishing erscheinen.