Monica Boirar, 14. August 2016, 07:00 Uhr

Robert Frank aus der Buchperspektive

Anlässlich des 90-sten Geburtstags der lebenden Fotografie-Ikone Robert Frank (* 1924) hat sein Verleger Gerhard Steidl gemeinsam mit ihm eine Wanderausstellung konzipiert, die neue künstlerische Massstäbe setzt: «Robert Frank – Books and Films 1947–2016». Sie macht derzeit Station in der Kunsthalle Ziegelhütte in Appenzell.

 

Im Jahr 1999 konnte man seine Fotografien im Kunsthaus Zürich sehen, 2005 im Fotomuseum Winterthur. Ausgerechnet die innovativste Bildpräsentation der Fotolegende Robert Frank ist nun, 2016, in der «Provinz», im multifunktionalen Kulturzentrum Ziegelhütte in Appenzell ausgestellt. Inmitten einer märchenhaften Landschaft mit sanften Hügeln, grünen Wiesen und lieblichen Häusern, ebenda, wo traditionsreiches Brauchtum gelebt und traditionelles Schweizer Handwerk gepflegt werden, begegnet uns, fünf Gehminuten vom Bahnhof Appenzell entfernt, der visuelle Mikrokosmos einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Streetphotography. Robert Frank. Er hat sich entschlossen, seine Fotobücher als eigentliche Kunstwerke zu erklären. Entsprechend seinem Verdikt, baumeln im ersten Ausstellungsraum im Erdgeschoss der ehemaligen Ziegelei in einem rechteckig angelegten Gebilde rund zwei Dutzend seiner Bücher, Mobilé-artig gebündelt.

 

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In einer mittlerweile zwölf Jahre dauernden, sehr freundschaftlichen Zusammenarbeit hat der wohl kreativste aller Verleger, Gerhard Steidl, das künstlerische Gesamtwerk von Frank peu à peu neu herausgegeben oder wieder aufgelegt.

 

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Die Früchte dieses besonders gelungenen schöpferischen Schaffens hängen nun zum Greifen nah, «Peru» mit Fotografien aus dem Jahr 1948, «London» und «Robert Frank Paris» mit Bildern von 1949, der berühmte Bildband «The Americans», erstmals 1958 in Frankreich publiziert, als deutsche, englische und chinesische Ausgabe mit einem Vorwort von Jack Kerouac, «Come Again», das Buch zum legendären Film «Pull My Daisy» aus dem Jahr 1959, «Robert Frank in America», «One Hour» und weitere Titel drehen sich gemächlich um ihre eigene Achse, freihängend, an Silch-Fäden auf Hüfthöhe, in greifbarer Nähe auch für Kinder und Menschen im Rollstuhl. Sie alle warten geduldig darauf, angefasst und angeschaut zu werden. Robert Franks Lebenswerk gilt es im wahrsten Sinne des Wortes aus der Buchperspektive zu be-greifen.

 

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Zwei Sonderausgaben der Süddeutschen Zeitung in Zeitungshalter-Klemmleisten, die als Alltagsgegenstände vornehmlich in Restaurants anzutreffen sind, gesellen sich als «klassische» Ready-Mades dazu. Schade, dass zwei besonders wichtige Frühwerke, das «Portfolio, 40 Photos, 1941–1946» und «Black, White and Things» des jungen Fotografen mit solider fotohandwerklicher Ausbildung nicht gezeigt werden. Auch das von Frank konzipierte Cover der zehnten Platte der bösen Rolling Stones-Buben «Exile on Main St», hätte gut in die Hängung gepasst. Gesäumt wird diese von Franks Biografie, auf Packpapier gedruckt, einer repräsentativen Auswahl von vergrösserten Kontaktkopien, Texten, von Steidl mit schwarzer Farbe direkt auf die Wand geschrieben und einer ersten Zeitungspapierbahn mit Franks Fotografien. Es ist wohl bloss eine Frage der Zeit, bis dieses Ausstellungskonzept Nachahmer finden wird. Doch welcher andere Künstler kann ein so breites, bahnbrechendes Gesamtkunstwerk vorweisen?

 

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Gleich dreifach übereinander gehängt, in weichem Oberlicht beleuchtet, sind die auf Zeitungs-Papierbahnen gedruckten Fotografien im zweiten Ausstellungsraum im Obergeschoss der Kunsthalle Ziegelhütte vorzufinden. Bekannte Ikonen gilt es zu entdecken. «Nun musste ich 90 Jahre alt werden, damit meine Bilder endlich einmal so gezeigt werden, wie ich mir das immer gewünscht habe», meinte Robert Frank, als er seine Fotografien erstmals in dieser Präsentationsform sah. Im dritten Obergeschoss schliesslich, laden rudimentär konstruierte Sitzgelegenheiten zum Visionieren von Franks Filmen ein. Neun Stunden dauern die 27 restaurierten und digitalisierten Filme insgesamt. Cineasten und Filmfreaks, die das ganze filmische Werk integral anschauen möchten, sei empfohlen, sich sogleich die Zeit eines verlängerten Wochenendes im Wander-Eldorado der Schweiz zu reservieren.

 

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Rund zweieinhalb Tausend Besuchende sind laut Roland Scotti seit der Eröffnung der Ausstellung Mitte Mai nach Appenzell gepilgert, für die hiesigen Verhältnisse eine beachtliche Zahl, meint der Kurator der Heinrich Gebert Kulturstiftung, zu der auch die Ziegelhütte gehört. Als promovierter Kunsthistoriker weiss Scotti nur allzu gut, dass besonders innovative Kunstprojekte beim Publikum oftmals zuallererst auf Ablehnung stossen. Seine schlimmsten Befürchtungen trafen allerdings in keiner Weise zu. Niemand hat die Ausstellungsmacher mit dem Vorwurf «Was erlaubt ihr euch denn da?» konfrontiert. Die subversive, die Normen und Regeln der Kunstpräsentation unterlaufende Billigversion auf Zeitungspapier, bei der ganz bewusst auf millionenschwere Originale in Form von echten Vintage-Prints verzichtet wurde, wirkt insgesamt so stimmig, die Wucht des dahinter liegenden kreativen Powers ist so deutlich spürbar, dass das Frank-Steidl-Konzept beim Publikum auf volle Akzeptanz und einhellige Begeisterung stiess. «Nothing left for the rotten art market!», sagt ein Künstler, der sich darüber ärgert, dass ein von ihm selbst vergrösserter Abzug seiner Fotoikone «Trolley» bei einer Versteigerung unlängst als Vintage-Print für 663 750 Dollar den Besitzer wechselte.

 

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Die aktuelle Ausstellung hat in einer Papierrolle Platz, ohne Unsummen von Versicherungs- und Transportspesen für wertvolle Originale zu verschlingen und kann so problemlos einmal um die Welt geschickt werden, pro Station jeweils mit neu gedruckten Zeitungsbahnen. Denn die gezeigten müssen laut schriftlichem Vertrag am Ende der Ausstellung restlos zerstört werden. Der Schluss-Event als Publikums-Hype für ein lustvolles Zerschneiden von Kunstwerken, vorzugsweise mit stumpfen Scheren des Museums, sei in Planung, meinte Scotti.

 

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Anstatt eines Kataloges gibt es eine Sonderausgabe der «Süddeutschen Zeitung» – 64 Zeitungsseiten nur über Robert Frank!

Vergeblich sucht man beim Verlassen der Kunsthalle Ziegelhütte im Eingangsbereich nach einem fetten Hochglanz-Bildband «Robert Frank». Stattdessen gilt die Sondernummer des Leitmediums Süddeutsche Zeitung, die schon als Ready-Made Teil des Mobilés war, als eigentlicher Ausstellungskatalog. Für nur gerade drei Schweizer Franken findet sich auf 64 grossformatigen Zeitungsseiten eine geballte Ladung erstklassiger Informationen, Fotografien und Texten von und mit und über Robert Frank, hochrangige Beiträge, passend für jedes auch noch so kleine Studenten-Budget: Eine wirklich grandiose Idee! Diese Sonderausgabe der Süddeutschen ist dann vielleicht die erste sechsteilige Zeitung, die nicht einfach so im Altpapier landet, sondern im Bücherregal neben prächtigen Bänden einen Spezialplatz erhält.

 

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Und wer schliesslich, vom Robert Frank-Fieber gepackt, noch immer nicht satt ist, dem sei der Dokumentarfilm von Laura Israel «Don’t Blink – Robert Frank», der derzeit in vier Schweizer Städten zu sehen ist, wärmstens empfohlen. Im Mai dieses Jahres wurde Robert Frank übrigens von der Stadtpräsidentin Corine Mauch mit dem Stadttaler von Zürich geehrt. Nun musste Robert Frank 91 Jahre alt werden, bis auch Zürich begriffen hat, dass der im Zürich-Enge Quartier aufgewachsene Sohn eines deutschen Juden und einer Schweizerin, seit 1945 mit Schweizer Pass ausgestattet, eine Auszeichnung mehr als nur verdient hat.

Text und Fotos: Monica Boirar

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«Robert Frank – Books and Films 1947–2016» in der Kunsthalle Ziegelhütte

Weitere Infos über die Robert Frank Ausstellung in der Kunsthalle Ziegelhütte

Dauer der Ausstellung: bis 30. Oktober 2016

Allgemeine Informationen zum Museumsbesuch

Der Dokumentarfilm «Don’t blink – Robert Frank» von Laura Israel läuft zur Zeit in verschiedenen Schweizer Kinos. Beachten Sie dazu den Artikel von Fotointern.ch.
Die Webseite zum Film: www.dontblinkrobertfrank.com

 

Bücher zu Robert Frank – eine kleine Auswahl
 Robert Frank Sueddeutsche Zeitung kl Katalog zur Ausstellung
«Robert Frank – Books and Films 1947–2016»

Sonderausgabe der Süddeutschen Zeitung
Kunsthalle Ziegelhütte, Appenzell
ISBN: 978-3-86930-938-5
CHF 3.–
2016
 Robert Frank The Americans kl Robert Frank
The Americans
Fester Einband / Leineneinband
Format 18.4 x 20.9 cm
Englisch
ISBN 978-3-86521-584-0
1. Auflage 06/2008
EUR 30,00 inkl. MwSt.
 Robert FRank in Amerika kl Robert Frank
in America
Herausgegeben von Peter Galassi
196 Seiten
Englisch
ISBN 978-3-86930-735-0
1. Auflage 09/2014
EUR 48,00 inkl. MwSt.
 Robert Frank Looking in kl Robert Frank
Looking in
Herausgegeben von Sarah Greenough
528 Seiten
Fester Einband / Leineneinband
Format 24.1 x 29.7 cm
Englisch
ISBN 978-3-86521-806-3
3. Auflage 07/2015
1. Auflage 02/2009
EUR 85,00 inkl. MwSt.
Bücher und Filme von Robert Frank im Steidl Verlag erhältlich
 Robert Frank DU 251 kl DU-Ausgabe Nr. 251,
Januar 1962
«Robert Frank – Der Fotograf»
CHF 20.– / EUR 15.–
vergriffen
nur noch antiquarisch erhältlich
 Robert Frank DU 731 kl DU-Ausgabe Nr. 731,
November 2002
«Robert Frank, Part two»
CHF 20.– / EUR 15.–
vergriffen
nur noch antiquarisch erhältlich

 

7 Kommentare zu “Robert Frank aus der Buchperspektive”

  1. Der vom Feuilleton oftmals als angeblich «wichtigsten Fotografen des 20. Jahrhunderts» und von Kunstakademien als «die fotografierende Ikone der Amerikaner» bezeichnete Robert Frank zeigt in der Ziegelhütte in einer Art «Jam-Session der Bilder» sein Werk. Die chaotische Collage passt wohl zu seinen Arbeiten, ist aber bestimmt nicht jedermanns Geschmack (von wegen « …dass das Frank-Steidl-Konzept beim Publikum auf volle Akzeptanz und einhellige Begeisterung stiess.»). Nicht umsonst wird ja im Artikel erwähnt, dass der Kunsthistoriker und Kurator Roland Scotti anfangs befürchtete, dass diese Ausstellung zuallererst beim Publikum auf Ablehnung stossen könnte …

    Ich gebe zu, dass mir seine Arbeiten nach dem eindrücklichen Bildband «The Americans» oft rätselhaft und merkwürdig erscheinen – die Filme noch mehr als die Bilder – und mich das Robert Frank-Fieber nie gepackt hat. Wie vermutlich die meisten wissen, wurden viele seiner Bilder aus der Hüfte geschossen. Er entwickelte ja damals einen neuen, eigenständigen Stil in der Fotografie, der wiederum viele andere Künstler beeinflusste. Allerdings warfen ihm in den Anfangszeiten Kritiker für seine Technik «absichtliche Nachlässigkeit» vor. Seine Bilder sähen aus, schrieb einer, «als ob er seine Kamera einfach irgendwo hinhält und abdrückt, ohne sich im Geringsten um Bildaufbau oder Beleuchtung zu scheren.» Street Photography ist eben nicht sorgfältige Fine Art Photography oder tonwertreiche Straight Photography.

    In einem lesenswerten Artikel zur Ausstellung steht in der Süddeutschen Zeitung* folgende Feststellung «Insofern ist es also nur konsequent, wenn Franks Aufnahmen einmal nicht als millionenschwer versicherte Gelatin Silver Prints gezeigt werden, gerahmt wie für die Ewigkeit, sondern auf den Blättern, die die Welt neu deuten, dem Papier, auf dem die Zeitung Tag für Tag gedruckt wird.» sowie «Die einzelnen Papierbahnen dürfen in den Ausstellungen nach Gutdünken aufgehängt, respektlos behandelt und je nach den räumlichen Gegebenheiten auch zerschnitten oder zusammengeklebt werden.» Zur dieser Ausstellungsidee sagte Robert Frack: «Cheap, quick and dirty, that’s how I like it.»

    Fazit: Neben den restaurierten und digitalisierten Filmen sieht man in der Ausstellung vor allem an die Wand gepappte Zeitungspapierbahnen mit mehr oder weniger sorgfältigen Kopien aus seinen Büchern und von abgedruckten Bildern, Kontaktbögen sowie Texten. Originalabzüge gibt es nicht zu sehen. In erster Linie ist es wohl eine kreative Ausstellung für seine Fans, welche die Originalabzüge schon einmal gesehen haben, sowie für Kunstliebhaber, Cineasten und speziell für ein junges Publikum. Zumindest in meinem Umfeld wurde die Ausstellung kontrovers diskutiert. Cheap, quick and dirty!

    (* Lesenswert http://www.sueddeutsche.de/kultur/robert-frank-ausstellung-in-essen-bilder-einer-einstellung-1.2227651)

    1. Sehr geehrter Herr Abgehängt,
      haben Sie vielen Dank für Ihre kritische Stellungnahme und Ihre ergänzenden Informationen. Nicht nur in der Frankfurter Allgemeine wurde eine sehr lesenswerte Besprechung publiziert; auch die Schweizer WOZ hat ein ausgesprochen interessantes Interview mit Laura Israel, der Regisseurin des Dokumentarfilms über Robert Frank und einer anschliessenden Rezension zur Ausstellung veröffentlicht.

      https://www.woz.ch/-6da8

      Besonders empfehlenswert ist ebenso der Beitrag der amerikanischen Vouge vom 9. Februar 2016 «Photographer’s Revolutionary Spirit»

      http://www.vogue.com/13396623/robert-frank-2016-retrospective-photography-nyu-the-americans-steidl/

      Es erstaunt nicht wirklich, dass Robert Franks Stil immer wieder auch kontrovers besprochen wurde und nach wie vor wird. Menschen, welche die zumeist sterile Ästhetik der Werbefotografie oder die formalästhetischen Strenge im Stil eines Henri Cartier-Bressons bevorzugen, haben wohl keinen leichten Zugang zu Franks Handschrift und tun sich gar schwer damit, sich mit dieser anzufreunden. Andere, die daran interessiert sind, die Geschichten zu sehen und zu «lesen», die Robert Frank in seiner Bildsprache erzählen will und die hinter den sichtbaren Erscheinungen liegen, werden die Bücher in der Ausstellung, mit Robert Franks Fotografien, bei Steidl in bester 1A-Druckqualität hergestellt, sicher mit grossem Interesse in die Hand nehmen, um sich in die Bildfolgen vertiefen zu können.

      Was ich zum Stil beziehungsweise zur Ästhetik hier schreibe, war ursprünglich Teil meines Textes, den ich bei der Kürzung gestrichen habe. Nun hat sich die Gelegenheit ergeben, diesen ergänzenden Denkanstoss im Kommentar-Forum zu platzieren.

      Monica Boirar

  2. Sehr geehrte Frau Boirar

    Besten Dank für Ihre Präzisierungen, Ergänzungen und die Links. Wunderbar, dass zur Abwechslung auf fotointern wieder einmal über Bilder und Fotografen statt über Kameratechnik debattiert wird.

    Wir sind uns bestimmt einig, dass man handwerkliche Meisterschaft nicht mit steriler Ästhetik verwechseln darf. Bei geschätzten Steidl-Verlag gibt es wunderbare Bücher von Fotografen zu kaufen, die hohe Ästhetik mit hervorregendem fotografischen Handwerk kombinieren. Und das Beste: man findet darin keine Spur von Sterilität (z.B. bei Sturges).

    Erlauben Sie mir eine Frage zum Satz «Andere, die daran interessiert sind, die Geschichten zu sehen und zu «lesen», die Robert Frank in seiner Bildsprache erzählen will und die hinter den sichtbaren Erscheinungen liegen … » Die Leserschaft von fotointern ist bestimmt sehr daran interessiert. Was meinen Sie mit «Bilder lesen» und mit «Bildsprache», respektive worauf beziehen Sie sich?

    Da Sie ja offenbar die Geschichten «hinter den sichtbaren Erscheinungen» kennen, wäre es sehr wünschenswert, wenn Sie uns in einem zweiten Beitrag in Ihre Bildanalyse und in die Bildsprache von Robert Frank einführen können. Ich bin sicher, dass dies wieder mit einer verständlichen Sprache gelingen wird.

    In Vorfreude!

    1. Sehr geehrter Herr Abgehängt,
      in Fotografien «lesen» ist in Anführungszeichen gesetzt, weil Fotografien, wie wir ja wissen, ein freies Assoziieren erlauben; alle haben wir die individuelle Möglichkeit, in Fotografien zu sehen, was wir wollen. Ist die fotografische Bildsprache verdichtet, wirkt sie besonders inspirierend und Fantasie anregend, und erweckt die Lust, sich eine Geschichte oder einen ganzen Film zum Bild auszudenken. Diese meine Darstellung könnte man mit einem einfachen empirischen Experiment belegen. Kennen Sie Robert Franks Fotografie «Tulip», Paris 1950, auf der ein junger Mann im Wintermantel von hinten zu sehen ist. Hinter seinem Rücken versteckt er eine Tulpe, die er in seiner rechten Hand hält. Ein älterer Herr mit Pfeife im Mund, der offenbar gerade seinem Portemonnaie oder Schlüsselbeutel etwas entnehmen will, kreuz ihn des Weges. Stellen Sie sich vor, 25 Schülerinnen und Schülern eine Sekundarklasse würde man diese eine Fotografie von Robert Frank mit der Aufgabenstellung zeigen, eine Geschichte zur Fotografie zu erfinden. Wer ist der junge Mann? Wer ist seine Angebetete, die er bald mit einer Tulpe überraschen will? Woher hat er die Tulpe? Weshalb will er ausgerechnet eine Tulpe schenken? Wie geht die romantische Geschichte der beiden weiter? Was hat der ältere Herr mit dem jungen Mann zu tun?

      Das Resultat der empirischen Studie – Sie ahnen es schon – würde dann wohl aus 25 wunderbaren Geschichten bestehen, die sich die Jugendlichen zu ihrem grössten Vergnügen gegenseitig vorlesen könnten. Verblüffend wäre wohl die Vielfalt der Geschichten auf der Grundlage einer einzigen Fotografie.

    1. Freier Zugang zur Fotografie, eine Ausstellung, welche eine andere Herangehensweise zeigt, bei welcher man sich zuerst fragt, was soll das, da reichten wohl die Finanzen nicht, um richtige Prints anfertigen zu lassen. Doch genau, da liegt ja das Wunderbare drin. Es zeigt die Vergänglichkeit, die Oberflächlichkeit auf eine humorvolle Art und Weise dargestellt. Nach wie vor ist ein Ausstellungskonzept mehr als einfach nur ein paar Bilder an die Wand zu Nageln. Ich persönlich war begeistert, wie dies umgesetzt wurde, alles auf alles eingestimmt.
      Eine Ausstellung, die ich gerne an Fotografen empfehle, welche sich entmuntigen lassen von hochgeschauckelten Ausstellungen, welche inhaltslos, jedoch mit viel Präsenz in der Presse hochanstehen.
      Es geht auch anders und mit mehr Inhalt und auf eine Art und Weise, bei welcher die Bildsprache nicht im „normalen Rahmen“ zu verstehen ist, sondern haltlos aus dem Rahmen fällt und dennoch bleibt offen, ob der Fotograf auch wirklich im Bilde darüber war.
      Schlussendlich machen wir uns alle unser eigenen Bilder über die Ausstellung. Es gefällt oder nicht, es inspiriert oder frustriert. Die Frage ist doch, weshalb frustriert oder inspiriert es mich.
      Oder weshalb bin ich überhaupt an die Ausstellung gegangen.
      Ein Kompliment an die Ausstellungsgestalter!! Eine Ausstellung, welche ich empfehlen kann, sie regt zum Denken an.

  3. .… hier noch ein kleiner Hinweis für Interessierte:
    Die ETH-Bibliothek hat viele wichtige Schweizer Zeitschriften digitalisiert und für Forschungszwecke auf der Webseite e-periodica.ch publiziert. Die beiden vergriffenen Du-Magazine können da online durchgeblättert, einzelne Artikel dürfen für Studienzwecke und/oder Privatgebrauch auch heruntergeladen werdern.
    Du Nr. 251
    http://www.e-periodica.ch/digbib/view?var=true&pid=dkm-001:1962:22::1287#3
    Du Nr. 731
    http://www.e-periodica.ch/digbib/view?var=true&pid=dkm-003:2002-2003:62::2121#865

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