Zum 100jährigen Geburtstag von Werner Bischof präsentiert das Musée Elysée in Lausanne eine Doppelausstellung, welche neben den Meilensteinen dieses bekannten Schweizer Fotografen erstmals auch seine frühen Werke zeigt. Die vielen Kontaktbögen seiner Motivstudien dokumentieren seine visuelle Empfindung und seine Arbeitsweise in beeindruckender Weise.
Werner Bischof könnte am 26. April dieses Jahres seinen hundertsten Geburtstag feiern. Das Musée Elysée Lausanne und die Bildagentur Magnum Photos veranstalten dazu eine Doppelausstellung, die noch bis 1. Mai 2016 zu sehen ist. Neben der Magnum-Ausstellung «Standpunkte» im Erdgeschoss, die sich auf die bekannten klassischen Arbeiten des Künstlers konzentriert, sind in der Parallelausstellung «Helvetica» im Obergeschoss Bischofs früheste Arbeiten zu sehen, die bisher weitgehend unbekannt und noch nie öffentlich gezeigt wurden.
«Standpunkt» – ein Rundgang durch Bischofs Bildikonen
Die Ausstellung «Standpunkt» zeigt uns die bekannten Werke von Werner Bischof chronologisch geordnet und führt zunächst in die Zeit seiner Lern- und Wanderjahre durch die kriegszerstörten Städte Europas, dann nach Indien, Korea, Japan (mit einem mehrmonatigen Aufenthalt) und weiter nach Hongkong. Danach verpflichten ihn Reportageaufträge zu weiteren Reisen nach den USA und nach Südamerika. Die Arbeiten sind vorwiegend im Auftrag grosser Zeitschriften entstanden, wie Life, Picture Post, Paris-Match, Fortune oder der damals jungen Schweizer Kulturzeitschrift «Du». Die ausgestellten Bilder sind alles Vintageprints, die von Werner Bischof selbst oder unter seiner Kontrolle hergestellt worden waren.
Auf dem Gang durch die Ausstellung «Standpunkt» entdeckt man viele Meilensteine von Werner Bischof – alle in Vintage-Qualität
Die Bilder sind alle schwarzweiss, bis auf eine kleine Anzahl von Aufnahmen aus den USA, die Bischof in den frühen Fünfzigerjahren fotografiert hatte. Es gibt von Bischof nicht viele Farbbilder, was einmal daran lag, dass die Farbfotografie erst in jener Zeit – vor allem in Amerika – populär und einfacher in der Verarbeitung wurde.
Werner Bischof hat wenig in Farbe fotografiert. Einige seiner farbigen Amerika-Bilder sind ausgestellt
Abgesehen von diesen Bildern hat sich Werner Bischof vorwiegend der Schwarzweissfotografie verschrieben, was wohl darin seinen Hauptgrund hat, dass er die Prints selbst erstellen und damit die Qualität bis zum Endprodukt unter Kontrolle haben konnte, dann aber auch, weil die damaligen Zeitschriften noch immer schwarzweiss gedruckt wurden und deshalb Bischofs Auftraggeber gar keinen Bedarf an Farbbildern hatten.
«Helvetica» – neue Bilder von Werner Bischof entdeckt
Die Parallelausstellung «Helvetica» im Obergeschoss zeigt weitgehend unbekannte Fotos von Werner Bischof. Es sind die Bilder, die während und nach seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Zürich entstanden und die bisher noch nie öffentlich zu sehen waren. Darin offenbart sich eine neue Art von Fotografien von Werner Bischof, die für den Betrachter nicht nur Erstlingscharakter haben, sondern zudem wertvolles Dokumentationsmaterial sind, um die Arbeitsweise dieses grossen Fotografen zu studieren.
Es ist spannend auf den Kontaktbögen zu verfolgen, wie er ein bestimmtes Thema oder ein einzelnes Motiv aus verschiedenen Blickwinkeln erfasste und für welche dieser Bilder er sich letztlich entschied, um davon Vergrösserungen zu erstellen. Interessant auch, wie er, mit rotem Fettstift markiert, den definitiven Bildausschnitt anzeichnete, so wie es damals zur analogen Zeit eben üblich war, damit man diesen bei weiteren Vergrösserungen wieder genau einhalten konnte. Deshalb waren Kontaktbögen für die meisten Fotografen sehr wichtige Gestaltungs- und Archivierungsmittel – auch für Werner Bischof.
Ungewöhnlich jedoch, aber typisch für Werner Bischof, wie diese Arbeitshilfsmittel mit akribischer Sorgfalt nummeriert, dokumentiert und thematisch alphabetisch abgelegt wurden. Bischof war ein sehr genauer und pflichtbewusster Mensch, und seine Fotografien bedeuteten ihm zu viel, um sie nicht mit aller Gründlichkeit zu verwalten. Dieser Gründlichkeit und der Tatsache, dass auch seine Familie den Wert dieser Arbeiten schätzte, verdanken wir es, dass diese Kontaktbögen als eine ungewohnte Ausstellungskomponente im Musée Elysée zu sehen sind.
Leben und Werk von Werner Bischof
Wenn man das Werk von Werner Bischof verstehen und in dieser Doppelausstellung verfolgen will, ist es hilfreich etwas seinen Werdegang zu wissen. Werner Bischof, 1916 geboren, verlor schon früh seine Mutter und wuchs bei seinem Vater in Waldshut und später in Kilchberg auf. Seine musisch-kreative Veranlagung mit einem ausgesprochenen Zeichnertalent, passte zwar nicht zu den Zukunftsplänen seines Vaters, aber dennoch schrieb sich der Jüngling, nach einem abgebrochenen Studium, 1932 an der frisch gegründeten Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich ein. Eigentlich wollte Bischof Maler werden, doch lenkten ihn zwei massgebende Persönlichkeiten dazu, den zukunftssicheren Weg der Grafik und Fotografie einzuschlagen: Hans Finsler und Alfred Willimann. Beide waren grosse Vorbilder für Werner Bischof, Willimann mit seiner klaren grafischen Linie und Finsler mit seiner unmissverständlichen fotografischen Stilprägung des Bauhaus und der Neuen Sachlichkeit. Hinzu kam Finslers klare formale Gestaltung und seine typische Lichtführung im damals, insbesondere bei Sachaufnahmen, unüblichen Gegenlicht, die wir unübersehbar in den vielen Bildern und auf den Kontaktkopien Bischofs wiederfinden.
Päuli Jucker, Zürich, um 1941 © Werner Bischof/Magnum Photos
Bischofs frühe Schaffensperiode, welche in der Ausstellung «Helvetica» dokumentiert ist, findet mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieg ein abruptes Ende. Bischof war kurz vor dem Kriegsausbruch in die Kunstmetropole Paris gereist – einmal mehr hin- und hergerissen, ob er nicht doch Maler werden wolle – und kehrte, bedingt durch die allgemeine Mobilmachung, 1939 in die Schweiz zurück. Ein dreijähriger militärischer Aktivdienst folgte, der bei Werner Bischof einen massiven Gesinnungswandel auslöste. Vorbei, eine heile Welt zu zeigen, vorbei das schöne Spiel mit Licht, Schatten und formalen Kompositionen. Der Krieg und die unmittelbaren Jahre danach gaben einen neuen Marschplan vor. Das Schöne im Leben, die heile Welt, zählte nur noch wenig, und die sensible Natur eines Werner Bischof hatte grosse Mühe mit den politischen Umstürzen und dem, was daraus geworden war, zurecht zu kommen.
On the road to Cuzco, Valle Sagrado, Peru, 1954 © Werner Bischof/Magnum Photos
Bischof schlägt einen neuen Kurs ein und wird vom Sach- und Kreativfotografen zum Reporter. Zu einem Reporter, der im Auftrag namhafter Zeitschriften und ab 1949 als Mitglied von Magnum Photos in unbekannte Länder in Krisenregionen und in unfassbare soziale Strukturen geschickt wird, die wahrscheinlich noch nie fotografiert worden waren. Seinem Naturell entsprechend stellt er auch hier immer den Menschen in den Vordergrund und nicht die zerstörte und kaum hoffnungsvolle Umgebung. Werner Bischof hat eine andere Taktik als seine Reporterkollegen von Magnum und anderen grossen Bildagenturen. Was er von Finsler gelernt hat, versucht er auch in seinen Reportagebildern umzusetzen. Das Licht ist das wichtigste Element in der Fotografie – und das formale Raumempfinden das Zweitwichtigste. Vielleicht sind es diese beiden Grundsätze, welche die Bilder von Werner Bischof anders werden liessen als jene seiner Kollegen – und wahrscheinlich haben ihn diese Prinzipien auch zu seinem Erfolg verholfen. Werner Bischof hat auch in Situation grösster Hektik seine Bilder immer konzentriert und durchdacht komponiert und nicht einfach «geschossen» um hinterher das beste Zufallsbild auszuwählen.
Harbour of Kowloon, Hong Kong, China, 1952 © Werner Bischof/Magnum Photos
Werner Bischof hat mit seiner Kamera viele Länder durchreist, und seine Bilder dokumentieren das damalige Osteuropa, Skandinavien, dann Indien, Japan, Hongkong, Indochina, und letztlich die Grossstädte der USA – ein Shock für den naturliebenden Bischof – bis nach Südamerika. Die Fotografie von Werner Bischof hatte in jenen Jahren eine völlig neue Ausrichtung bekommen, denn nun standen nicht mehr seine kreativen Ideen im Vordergrund, sondern die Aufträge der Redaktionen, die Material brauchten, um ihre Artikel leseattraktiv zu gestalten zu können.
Americana, USA, 1954 © Werner Bischof/Magnum Photos
Auf der letzten Reise nach Amerika begleitete ihn seine Frau Rosellina, mit der er seit 1949 verheiratet war und 1950 mit ihrem Sohn Marco beglückt wurde. Hoch schwanger entschied sich Rosellina im März 1954 in die Schweiz zurück zu reisen, während Werner weiter an seinen Reportagen in Panama und Peru arbeitet. Dabei traf er einen befreundeten Geologen, und die beiden beschlossen zusammen in die Anden zu fahren. Wahrscheinlich in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1954 verlor der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug, das in eine Schlucht stürzte und das Leben von Werner Bischof aushauchte. Nur kurze Zeit danach kam Werner Bischofs zweiter Sohn Daniel zur Welt …
In den rund 15 Jahren seines aktiven Reporterlebens hat uns Werner Bischof Bilder hinterlassen, die zu Meilensteinen der Fotogeschichte geworden sind. 15 Jahre sind eine kurze Zeit, und sein Vermächtnis beweist eine ausserordentliche Kreativität, Auffassungsgabe und Durchhaltevermögen. Werner Bischof hat uns eine Fotografie geschenkt, die für viele wegweisend ist und in der Fotografie einen festen Stellenwert hat.
Pdflanzen, Zürich, um 1941 © Werner Bischof/Magnum Photos
Und die Kontaktbögen? Sie verraten uns in dieser Ausstellung das Geheimnis von Werner Bischof. Sie verdeutlichen, wie er an die selbst gestellten Aufgaben herangegangen ist, wie er Ideen in perfekte Kompositionen umgesetzt hat und wie er nicht nur die Technik und die formale Gestaltung beherrschte, sondern auch das Wesentlichste in der Fotografie – das Licht.
Urs Tillmanns
Die Doppel-Ausstellung über Werner Bischof ist im Musée Elysée Lausanne noch bis 1. Mai 2016 zu sehen. Weitere Infos dazu auf www.elysee.ch
Zur Ausstellung «Helvetica» ist ein Bildband auf Deutsch, Englisch und Französisch erschienen. Er kann im Shop des Musée Elysée für CHF 45.– oder im Buchhandel bestellt werden. Lesen Sie dazu die Buchbesprechung auf new.fotointern.ch (20.02.2016)
Lesen Sie mehr über Werner Bischof und seinen Nachlass auf www.wernerbischof.com